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Full text of "Über die Symbolik der Kopftrophäen. Eine psychoanalytische Studie"

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T I 



JMarie 3onaparte 

über die »Symtolik 
der Kopftropkäen 



Line psydioanalytisdie iStuJie 



Internationaler Psydioanalytis Jier Verlag 

Leipzig / Wi e 11 / Züricii 



Über die Oymbolit 
der Kopftropliäen 



hhie psydioanalytistiie Studie 

(Vortrag in der Wiener PjyJioanalytisJieii 
Vereinigung am 5o, Novenifier 1937) 



Von 



JVlarie xSonaparte 



"ans 



SonJerabdriiJc aus j,Iniago, Zeitschrift für AnwenJung der 
Psychoanalyse auf die Natur- und Geisteswissensdiaften' 
(herausgegehen von Sigm. Freud), Bd. XIV (1^38) 



1938 

internationaler PsydioanalytistLer Verlatf 

Leljj^Jg / Wien / Züridi 



Alle Hechte, 
insbesondere die der Übersetzung, vorbehalten 

* 

Copyright 1928 

by „Internationaler Psychoanulylischer Verlag, 

Ge«, m.b.H.", Wien 



tfH INTERNATIONAL 
&■ PSYCHOANALYTIC 
^H UNIVER5ITY 

D[E PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN 



Druck: Cbiiltoph Reiuer'i Sähno, Wien V 



Uie Xvedensart vom „genörnten Ehemann" 

■ Als Ausgangspunkt wollen wir ein kleines Problem wählen, das schon 
seit geraumer Zeit Forschern viel Kopfzerbrechen verursacht. Schon im 
Altertum und noch heute, bei den meisten zivilisierten Völkern, stattet die 
Volksironie den betrogenen Ehemann mit Hörnern aus. Nun sind aber 
die Hörner ein Merkmal der Kraft, bei \'ielen Tiergattungen sogar das der 
Männlichkeit und bei vielen Religionen auch das Kennzeichen der mäch- 
tigsten (iötter. Auf welchem Umwege mag dieses Attribut der Männlich- 
keit dazu gekommen sein, in den Augen des Volkes gerade die Schwäche, 
die Blindheit, das Unvermögen des betrogenen Ehemannes zu symbolisieren? 

Denn der Ehemann z. B., der Rache nimmt und tötet, gilt weder 
dem Franzosen als ,,cocu" , noch dem Deutschen als „Hahnrei" und auch der 
Volksmund wird ihm keine Hörner aufsetzen. Nur den hintergangenen 
Ehemann trifft das Volk mit dieser Bezeichnung. 

Wir stellen das Problem am besten dar, wenn wir zunächst Hermann 
Schrader („Der Bilderschmuck der deutschen Sprache", Artikel „Das Hörn", 
7. Ausgabe, S. 107 ff. Berlin 1912) zitieren. Nachdem er verschiedene Horn- 
symbole geschildert hat, die das Hörn mehr oder weniger als Kennzeichen 
der Kiafl und Macht erscheinen lassen, sagt Schrader: 

„Die schwierigste Deutung haben wir bis zuletzt aufgespart. Man sagt von 
einer Frau, welche ihrem Manne die eheliche Treue gebrochen hat, sie habe 
ihm Hörner aufgesetzt, ihn gehörnt, auch wohl, ihn mit einem Hirsch- 
geweih gekrönt. Daher die Worte Hömerträger, Hömerdreher. Man hat den 
seltsamen Ausdruck oft recht ungeschickt zu erklären versucht, 

a) Körte. Der griechische Kaiser Andronicus {118g) lebte mit den schönsten 
Frauen seiner llesidenz im vertrautesten Umgange und verlieh deren Märmern, 



Alane lioiin parte 



I 



um sie leichter xu beseitigen, die .Iap{l^erf!cht*inmlifit. Diis Zeichen derselben 
war ein Hirschgeweih am Hause. Die Männer freuten sicli der Auszeichnung 
und die "Weiber verschafften sie Ihnen um so lieber. 

b) Wenn man junge Hähne 7.u Kiip.iunun mac)it, so wird ilinen der Halmen- I 
sporn abgeschnitten und auf die Stirn verst'tz,t. Dieser lu'ißl dann das Hörn 
der Kapaunen- Dieses Bild würde aber auf eine impntentia des Mannes i 
hindeuten — was doch hier g«nz fern liept.* 

c) Das Wunderlichste Iiat wolil Wurzbacli /.usanmien^etragen. Er sagt: 
,Horn ist harte Haut. Hörn im Anf^elsiiclisisclien ist Jiyrn, A. h, Hirn. Das 
Aufwachsen solcher ist Wirkung eines kranken (jitliirns, (»ehörnte und Schwncli- 
köpfe sind identisch. Das griechische vAii^iic, (Hörn) ist mit cervus (Hirsch) ver- 
wandt. Eornung bedeutete ein uneheUches und außer eh eliclies Kind, das logisch 

auf einen hömertragenden Vater y.uriickfülirt.' Das sielit gelehrt aus, aber 

es sieht bloß so aus. Er mochte sieh übrigens für die Deutung ii) entscheiden. 

d) Der sonst oft so scharfsinnige Dr. Urinkniann sagt; Der Grund dieser 
Metapher muß in folgendem Gharakter/.uge des Bockes zu suchen sein. ,Der 
Bock ist — sagt BufTon — ,ein ziemlich schönes Tier, sehr kräftig und sehrd 
heißblütige ein einziger Bock kann wahrend zwei oder drei Monaten melir als 
himdertfünfzig Ziegen geniigen; docli dauert diese Ghit, die ilm ver/.elirt, nur 
drei oder vier Jahre und diese Tiere sind mit fünf oder sechs Jaliren voll- 
kommen erschöpft und ganz alt.' — Den Vergleichungspunkt findet er in dei 
Eifersucht. — ,Die Eifersucht aber nniß um so mehr aufgeregt werden, je heißet 
die Liebe war.' 

e) Weber im .Demokrit' sagt: Im roniantisclien Mittehdter setzten die Damen] 
ihren Rittern, wenn diese ins Feld zogen, die Helme auf, welche häufig Honit, 
verschiedener Tiere zur Zierde hatten. We.wn nun der Geliebte fortgezogen war^ 
so hatte die allcingelassene Dame gar oft I.angeweih' zu Hause und suchte siel 
diese durch anderweitige angenelime Gesellschaft zu vertreiben, und so wurd« 
denn die Redensart: Hörner aufsetzen, alhnnhUch gleicli bedeutend mit untrei 
werden. — Allzu gesucht! Wohl nur sehr wenige I hdine hatten Homer und wol 
nur sehr wenige Frauen setzten dem sclieidencUui Manne den Hehn auf, wi 
sicherlich der Ritter meist selber tat. Und wenn auch, so bleibt eine tiefe Kli 
zwischen Tun und Bedeutung. 

f) Dr. M. Heyne sagt: Diese Redensart sclieinl die unverstandene Erinnerun« 
an eine im Mittelalter verbreitete, auch poetisch dargestellte ErzJilihmg z,u ent-l 
halten, nach welcher der Zauberer Virgilius zu Rom ein ICrzbild gefertigt hatte 
das jeder wegen Untreue angeklagten Frau, die ihm die Finger zum Scliwure ii" 
den Mund legte, dieselben abbiß; die Untreue der Frau selbst aber ward angezeigt! 

i) V. Tolnai, in der Zeitschrifl „Magyar Nyelv" XYIII, igaa, S- ia8, BchreibtJ 
„Homer trugen nämlich unter dem Federvieh die Kapaune. Beim Kastrieren sclinil 
man dem jungen Hahn auch Sporen und Knmni ab. In die friscbc Wimde am Kopf 
wurden dann die Sporen gelegt, so dall die Wunde vernarbte und die Sporen fest- 
hielt." „In Ungarn ist dieser Brauch im Bechzehntcii Jnlirluuidürt belegt. Falls die als 
Homer aufgesetzten Sporen abfallen, maclit man andere Homer aus Wuchs. Anfalle 
Fälle sind die Hörner vergoldet und das Tier wird mit diesun Hörnern serviert.« 



indem ihrem Manne ein Hörn aus der Stirne wuchs. — Wir meinen jedoch, daß 
diese Geschichte des Mittelalters erst auf die schon vorhandene, weit ältere Redens- 
art aufgebaut ist. 

g) Den Weg zur richtigen Deutung kann uns die Tatsache zeigen, daß schon 
bei den ahen Griechen unser BUd und unsere Redensart sich findet. KeQttxLo; und 
Keeatd? ist ein Gehörnter, und Keeaoqpopo; [sc. d^n'io) ein Hörnerträger in unserem 
Sinne, ebenso vigata jioieIv tlv^ einem Homer machen. Cornua viris uxores 
facere dicuntur hndü, quae adidlerantur, quam proverbialem formulam apud 
veteres peiitide ushatuni fuisse, Artemidorus testimonio est oneiros. (Man sagt 
heutzutage, daß die Frauen, welche die Ehe brechen, ihrem Mann Hörner 
aufsetzen und es geht aus dem Traumbuche des Artemidorus klar hervor, daß 
diese sprichwörtliche Redensart schon bei den Alten gebräuchlich war.) (Ge'sner 
I, 12). * 

Außerdem findet sich das Bild in allen modernen Sprachen, italienisch : avere 
le corni, spanisch: cornudo, französisch: avoir les cornes, englisch: io hörn, cor- 
riuto, ivear horns. Eine solche Übereinstimmung der Anschauung kann nicht 
wohl aus einer einzelnen lokalen Geschichte hervorgehen; das Bild gehört ja auch 
schon der alten Welt an. Es muß der Natur selbst, und zwar dem gehörnten Tier- 
geschlechte seinen Ursprung verdanken, und unter diesem speziell dem bekann- 
testen, dem Menschen vertrautesten, dienstbarsten, nützlichsten, dem Geschlechte 
der Rinder. Das ist das Zunächstliegende. Und welches ist dann der charakteri- 
stische Zug, den wir an Kalb, Kuh, Ochs in ungezählten Redensarten erkannt 
haben. Es ist mit einem Worte die Dummheit und Roheit in allen ihren Ver- 
zweigungen. Gehen wir der Saclie auf den Grund. Wie kommt ein Weib zur ehe- 
Hchen Untreue? Wir geben in voller Zuversicht die Antwort : unter hundert Fällen 
trägt neunundneunzig Mal der Mann die Mitschuld. Mag er nun in roher Weise 
(wie der Pöbel) sein Weib mißhandeln, mag er sie in feinerer, aber innerlich ebenso 
verletzender Weise durch Worte kränken, mag er kah und gleichgültig ihre 
Dienste annehmen und ihrem liebebedürftigen Herzen keine Erwiderung und 
Stillung geben, mag er geistig tief unter ihr stehen, so daß sie ihn übersieht 
und keine Hochachtung vor ihm haben kann; oder geht er gar offenkundig in 
Untreue voran, kurz: zeigt er sich roh und rücksichtslos (dem Rindvieh ähnlich) 
und gibt durch das alles dem Weibe Reizung zur Untreue und Entschuldigung 
für Untreue; oder — im umgekehrten Falle — wenn die Schuld allein oder 
zumeist am Weibe liegt, welches ihn hintergeht und anführt, wenn er in seiner 
Dummheit nichts merkt und sich anführen läßt: liegt es da nicht sehr nah, 
daß das Volk, welches sicli gern kräftig und derbe ausdrückt, ihn ein Rind- 
vieh, ein Hornvieh nennt, oder sagt: dem ziemen Hörner, der hat, trägt Hörner 
auf dem Kopf, dem wachsen die Homer aus dem Kopf? Kurz: die Hörner (des 
Ochsen und erst in naheliegender Weiterbildung : das Geweih des Hirsches, lat. 
cornua) sind ein freilich derbes, aber treffliches Sinnbild von der Roheit und 
Dummheit solchen Mannes." 

Schrader verteidigt sodann seinen Standpunkt, indem er daian erinnert, 
daß bei den alten Griechen xeoiotpöoog sowohl den Hintergangenen im all- 



gemeinen, als auch den betrogenen Eliemann bedeulete. Zum Schlüsse fügt 
er noch hinzu: 

„Eine Hindeutung auf unsere Aurfussimg finden wir auch in Petron(5g)j 
wenn er von Verzagten scherzweise sagt, illü prae inole sua coniiia nasci (daß 
ihnen vor Angst Hörner wachsen)." — Bei Artemidoros (niis Ephesos, zur 
Zeit der Antonine) findet sich der Satz: „IJeine Frau wird (ihrer Neip^ung) eine 
Richtung zu geben wissen und dir, wie man zu sagen pllegt, Hörner aufsetzen." 

Auf diese Weise zeigt uns Sclirader die verschiedenen, ilim bekannten 
Lösungen des Problems, das uns beschäftigt, und fügt dann noch eine eigene 
hinzu. Wir werden später sehen, was wir davon zu halten haben. Wir wollen 
nur noch einen Autor zitieren, A. J. Storfer, und zwar eine Stelle seines 
Buches über „Marias jungfräuliche Mutterschaft". Berlin 1914. (Anmerkung 
von S. 107): 

„Das Gehörntsein als Symbol des betrogenen Eliemnnnes steht mit dem Hörn 
als sexuelles Machtsymbol scheinbar in Widersprucb. Die Erklärung von Bolte 
(Bilderbogen aus dem sechzehnten und siebzehnten .lalirhundert, Z. d. Ver. f. 
Volksk. ig, 65), ,Du bist unter dem Zeiclicu d(!S Steiiil)ocks geboren und zum 
ehelichen Unglück bestimmt', lialte ich für nicht befriedigend. Sittl (Die Ge- 
bärden der Griechen und Römer. Leipzig 1890) knüpft an Artemidoros 2, 12^ 
jTräumest du von einem Widder, so treibt deine Kran llnzuclit' an und deutet 
die alte Form des Symbols, die römische Sitte, jemand durcli die Gebärde des aus- 
gestreckten kleinen und des Zeigefingers zu bescliimpfen, indem er ihr den Inhalt 
unterlegt: ,Deine Frau hat zwei Männer.' Die symbolische Gleicliung ,Finger = 
Penis spricht zwar für diese Erklärung, gegen sie aber ist einzuwenden: Die 
Zweizahl ist nicht das WesenUiche für diesen Symbolismus, und lun- bei dem 
Einhorn könnte die Zahl, als von der g(.'gi.'b«;ueii y.oologisclien Anscliauung 
abweichend, als entscheidender Faktor gelten; zudem ist ja auch die Zwei- 
männerzahl für die ,Unzucht der P>au' völkerpsychisch nicUt typisch; es hieße 
mythisches Material durch moderne Brillen betrachten, wollte man im völker- 
psychischen Ehebruch just , dreieckige Verhältnisse sehen. Dali die Zweizahl 
im römischen Hömergestus nicht ohne Bedeutung ist, beweist, daß auch ein 
vorgestreckter Finger als Schimpf galt (vgl. oben S. 55). Während aber Einen- 
fingerstrecken bloß das symbolische Phallusstreckcn schleclithin war, so war 
das Zw eifinger,str ecken eine Anspielung auf das Gehörntsein, beziehungsweise 
auf gewisse phallische (gehörnte) Tiere. Der Ziegenbock ist ein phallisches 
Tier, aber eines, das (wie Affe und Esel) die verpönte hetärische (mutter- 
rechthche) Sexualität im Gegensatz zu dem phallisch-vaterrechtlichen (Adler, 
Stier usw.) symboÜsiert. Die männlichen Symboltiere der hetärisclien Sexualität 
kennzeichnen sicli dadurch, daß sie als verpönt (Teufel, Sclüange im Sundenfall) 
oder lächerlich (ob ihrer Geilheit: Bock, Esel) gellen. Gehörntsein ist «Isq 
ursprüngHch nicht das Symbol des Betrogenseins, sondern des hetärisch freien, 
ehelosen Geschlechtsverkehrs, Ans der Tatsache, daß in der vaterrechtlichen 



über die Symbolik der Kopftropkäen 



Gesellschaftsordnung sich in bezug auf den Ehebruch des Mannes und den des 
Weibes eine ,doppelte Moral entwickelt hat, daß der Ehebruch des Mannes 
als der weitaus harmlosere gilt, folgt nun, daß die Anspielung (durch das Zeichen 
des Ziegenbockes) auf die Geilheit, auf den außerehelichen Geschlechtsverkehr, 
besonders in der Beziehung auf den Ehebruch des Weibes bedeutsam, höhnisch, 
beleidigend wird. (Der Hörnerjahrmarkt am Sankt-Lukas-Tag zu Carlton in der 
Grafschaft Kent — vgl. Bourke-Krauß-Ihm, a. a. O. 374 — scheintauch 
ein Fest hetärischer Freiheit, wie Eselsfest, Narrenfest, Karneval usw. zu sein.) — 
Ein Pendant des Symbols des Gehömtseins ist das Eselsohr. Der bekannte Esels- 
ohrgestus (auch hier spielt die Zweizahl keine Rolle) ist dem Symbol des Ge- 
hömtseins nahe verwandt. Vgl, den Abschnitt jEsel." 

Wir haben also nach den Deutungsversuchen eines Autors der voranalyti- 
schen Zeit (Schrader) jene eines Autors angeführt, der mit der Psycho- 
analyse vertraut ist (A. J. Storfer). Aber diese Erklärungsversuche können 
uns nicht befriedigen, denn wir haben nicht das Gefühl, daß sie zum Kern 
dieses Problems vordringen. Die Aufgabe der Problemstellung bleibt aufrecht, 
und es ist nun an uns die Reihe, sie richtig anzugeben; wozu wir aller- 
dings vorerst einen Umweg machen müssen. 



n 

-Die keroiscliea XXörner 

Im „Archiv für Religionswissensdmft" (Bd. XV. igia. S. 451 ff.) be- 
handelt I. Scheftelowitz „Das HÖrnermütiv in den ReHgionen". Nach- 
dem er die verschiedenen Tierformen aufgezählt hat, welclie die Götter 
der Ägypter, ßabylonier, Hebräer, Araber, Inder, Perser, Griechen, Römer, 
Galher, Germanen und Japaner angenommen hatten, behandeU er {vgl, 
S. 456 ff.) „die Hörner am Haupte der Götter, die als Überreste ihrer ur- 
sprünglichen Tiergestalt die Symbole der ühermenschlichen Kraft 
geworden sind". 

Von primitiven Tiergestalten, — schreibt Scheftelowitz, — die ursprünglich 
ganz deutlich die physische Kraft der Götter verkörperten, bUeben nach und 
nach nur die Homer, als Symbole der Kraft und Macht, übrig. 

„Hörner smd zunächst bei solchen Göttern, die auch als Stiere aufgefaßt 
worden sind, ganz selbstverständHch. So werden die zwei Hörner des Agni 
der als Stier bezeichnet ist, häufig erwähnt. Atliarvaveda VIII, 5, 25, heiÜt 
es: re te sringe ajAre jätavedas tigin^heil brdhmasamsite, tRbhj-äm durhkram 
abhidasantam him'idinam pratyahcam arclsa fatavedÖ vi niksva. ,IVlit deinen 
beiden Hörnern, o Jätavedas ( Agni), die unvergänglich und eine spitze Waffe 
sind und von Brahma geschärft sind, durchbohre den lästigen Feind, den her- 
anstürmenden Unhold mit deiner Flamme.' Noch im Buddhismus hat der 
Totengott Yama Stierhörner auf dem Haupte. Der Bodhisatva Manjusri, der 
den Totengott Yama bändigt, als er Tihet entvölkerte, hat auf seinem Haupte 
zwei gewaltige Stierhörner. Der Göttervogel Garuda liat einen blauscliwarzen 
Kopf mit zwei Hörnern. Sämtliche babylonischen menschengestalteten Götter tra- 
gen eme mh Hörnern versehene Kopfbedeckung als göttliches Abzeichen. So 
hat Asur auf seinem Haupte zwei Stierhörner, dagegen Ramman vier Stier- 
hörner, von denen zwei nach vorn, zwei nach hinten gebogen sind. Ebenso 
ist der phönizische Ba'al Hamman mit Widderliönieni am Kopfe dargestellt 
Im prähistorischen Ägypten kommen zwei abwärtsgebogene Hömer ids Götter- 



I 



über die oyiiibolik Jer Köpft ropliäeii 



Symbole vor. Auch in der griechischen und römischen Mjthologie sind viel- 
fach die Homer als die letzten Überreste aus der Zeit, in welcher die Gott^ 
heit in Gestalt eines gehörnten Tieres verehrt wurde, übrig gebUeben. So sind 
-Acheloos und die übrigen griechischen und römischen Flußgötter, die man 
sich ursprünglich in Stiergestalt dachte, auf späteren Münzen als Menschen mit 
Stierhörnern abgebildet. Pan, der ursprünglich als Bock verehrt war, wurde 
im Laufe der Zeit immer mehr vermenschlicht und behielt von seiner ehe- 
maligen Tiergestalt schließlich nur noch die Homer zurück. Dieselbe Entwick- 
lung machten auch die ursprimgiich bockgestaltigen Satyrn durch, an deren 
tierische Gestalt in jüngerer Zeit nur noch die Homer erinnern. Ebenso wurden 
die ionischen Silene, die ursprünglich Pferdegestalt hatten, in der praxitelischen 
Zeit nur noch durch ihre gespitzten Ohren gekennzeichnet. Der von dem 
griechischen stiergestaltigen Dionysus beeintlußte römische Gott Bacchus hat 
nur noch Homer. Büder von gehörnten Kentauren sind in Cypern gefunden. 
Viele altgaUische Götter haben Hirschhörner. Derartigen menschengestaUeten 
Göttern mit Hömem am Haupte begegnet man auch bei den Indianern. So 
ist auf der Trommel des Medizinmannes aus Missouri, womit er Krankheits- 
dämonen verscheucht, ein Götterkopf dargestellt, der mit zwei Hörnern und 
kurzen Strahlen versehen ist. Der Kriegsgott und die Kriegsgöttin der Dakotas 
haben zwei mächtige Hörner auf dem Haupte. Ebenso haben verschiedene 
andere Götter der Dakotas zwei Homer, wie der Sonnengott. Den göttiichen 
Herrscher der abgeschiedenen menschlichen Seelen, Unkatahe, stellen sie sich 
als ein Wassertier mit zwei Hörnern dar. Eine andere amerikanische Gottheit 
hat die Gestalt eines Panthers, der auf seinem Kopfe die zwei Hörner trägt. Der 
schützende Hausgeist der nordamerikanischen Indianer hat ebenfalls zwei Hörner 
auf seinem Haupte. In der Magik der Indianer spielen gehörnte überirdische 
Wesen eine große Rolle. Der amerikanische Gott Nanabush, der Schöpfer der 
Geister, ist ebenfalls gehörnt. Eine Götterfigur der Hopi-Indianer hat auf dem 
Haupte zwei kleine Homer, während sie in der Hand ein Hirschgeweih trägt. 
Viele bei den Festen der Hopi-Indianer vei-wendete Masken, durch welche 
gewisse Götter personifiziert sind, tragen auf dem Haupte meistens zwei Homer, 
die teils senkrecht auf dem Haupte stehen, teils Büffelhörner, Kuhhörner^ 
Schafhömer oder Hirschgeweih sind. Einzelne tragen auf dem Haupte nur 
ein Hom, andere tragen in der Hand Geweih von Elch und Hirsch." 

Scheftelowitz spricht sodann von Dämonen, von bösen Geistern, 
die in fast allen Religionen mit Hörnern ausgestattet sind, was uns nicht 
überraschen kann, da doch die Dämonen sozusagen die „Kehrseite der 
Götter", gefallene Götter, darstellen. Weiter unten schreibt er (S. 464 ff.): 

„Die ältesten Sprachdenkmäler beweisen, daß Hörner das Symbol der Kraft 
und Macht sind. Als der König Ahab vor Beginn des Kampfes mit den Syrern 
die Baalpriester um den Ausgang der Schlacht befragte, machte sich einer von 
ihnen zwei eiserne Hörner und sprach: ,Mit diesen (Hömem) wirst du die Syrer 
niederstoßen, bis du sie völlig vernichtet hast.' Der kräftige Stamm Josef wird 
(5. M. 55, 17) mit einem ^erstgeborenen Stiere von majestätischem Aussehen 



■IQ Alariu Boiia|)Hi'tc 



verglichen; ,Seine Homer sind wie die Hörner des Tieres Reem, mit denen 
er die Völker insgesamt niederstößt.' Die plÜchtvergessenen Fürsten werden 
(Ezechiel 54, 21) mit mächtigen Hörnern tragenden Bocken vergUchen, die 
mit ihren Hörnern die Schwachen zurückdrängen und nach außen versprenge^. 
Auf einem altägyptischen Denkmale wird ein mächtiger König, der seine 
Feinde bezwingt, als ein gewaltiger Stier dargestellt, der mit seinen Hörnern 
nicht nur die Feinde, sondern uuch die Wälle einer feindhchen Stadt nieder- 
stößt. Daher waren die assyrischen Standarten mit zwei Stierliörnern versehen, 
die den Feind niederschlagen sollten, 

„Wegen ihrer Stärke werden darum die Helden mit Stieren und Löwen 
verglichen, so z. B. bei Homer. Als ein äußeres Zeichen ihrer Stärke trugen 
deshalb auch die Krieger Homer auf den Helmen. So waren die Helme der 
altgiiechischen Krieger, der Etrusker, Gallier und Angelsachsen häufig mit 
Hörnern verziert. Die im altägyptischen Grabe des Seti I abgebildeten libyschen 
Krieger haben eine Kopfbedeckung mit zwei Hörnern. Die Krieger der afri- 
kanischen Neger tragen ebenfalls Homer am Kopfe. Die Negerkrieger an den 
NUquellen tragen sogar ein ganzes Tierfell (gewöhnlich Antilopen feil), dessen 
Kopfstück nebst Hörnern über das Haupt des Kriegers gestülpt ist. Römische 
Soldaten erhielten als äußere Auszeichnung ein corniculum, ,eincn hornformigen 
Ansatz am Helme'. Ein mit solchen Ehrenhürnchen ausgezeichneter Soldat hieß 
Corniciilarius. Das Haupt eines siegreichen Helden scheint noch zu Shakespeares 
Zeiten mit Hörnern geschmückt worden zu sein, vgl. Shakespeare, As you 
like it, Act IV, sc. 2 : het's present him (fkc killed dcer) (0 the duke, like 
a Roman conqueror ; and it wnuid do well tu set the deer's horiis upon his 
head for a branch of victory. Auch die Kopfbedeckungen der Indianer haben 
zuweilen zwei Homer." 

„Daß das Hörn schon in sehr alter Zeit als äußeres Merkmal für die 
Stärke, womit das mächtige Tier alles Feindliche niederwirft, aufgefaßt wurde 
und somit die wuchtige Kraft das dominierende Element in der Vorstellung 
von dem Ausdruck Hom bUdete, beweist der Begriffswandel dieses Wortes. 
,Hom' hat in mehreren Sprachen auch die Bedeutung ,Stärke, Macht erhalten, so 
im Hebräischen (qeren.). Altindischen (srnga) und Lateinischen (coriiuj. Der 
schwergeprüfte Hiob ruft aus: Meine Macht (qeren) liegt im Staube {Hiob 16, ig); 
vgl. Arnos 6, 15; Wir haben uns Macht (qeren) verscliafft; .lerem. 48, 25: 
Zerbrochen ist Moabs Macht; Ps. 148, 14: Er erhöht die Macht seinem Volke. 
Das Hörn in seiner eigentlichen Bedeutung und als Merkmal der Machtfülle 
kommt in Ps. 92, it, klar zum Ausdruck: Du erhöhst mein_ Hom wie das 
Hom des Tieres Reem. In diesem Sinne sagt auch der Midraä Ekä Rabbä II, 5: 
Zehn Homer gibt es in Israel: 1. das Hörn Abrahams; 2. das Hörn Isaaks ; 
3. das Hörn Josefs; 4. das Hörn Moses'; 5. das Hom des Gesetzes; 6. das 
Hom des Priestertums ; 7. das Hom des Levitentums; 8. das Hom der Prophetie; 
g. das Hom des Tempels; 10. das Hom Israels. Andere Gelehrte setzen für 
letzteres das Hom des gesalbten Königs ein. Alle diese Hörner wurden dem 
Volke Israel aufs Haupt gesetzt, aber als_sie gesundigt hatten, wurden sie 
ihnen wieder abgenommen, wie es heißt (Ekä 2, 3): Gott hieb ab in heißem 



Zorne Israels ganzes Hornj und sie wurden alsdann den heidnischen Völkern 
gegeben. Im Altindischen vgl. Rgv. VIII, 86, 5: Die Macht des Rechts (srhgarit 
rtasya) hat Gott Savitar weit verbreitet. Viele Belege über lat. cornu im Sinne von 
, Kraft, Macht' sind im Thes. Ling. Lat. IV, Sp. 97g, enthalten." 

An einer anderen Stelle befaßt sich Scheftelowitz mit den Hörnern auf 
dem Haupte der Könige und Priester als Symbol göttlicher Macht (S.471 ff.): 

„Bei den Orientalen und vielen primitiven Völkern herrschte die An- 
schauung vor, daß der König die Inkarnation eines Gottes sei. So haben 
assyrische Fürsten zwei Homer auf ihrer Kopfbedeckung, wie sie sonst bei 
den Göttern üblich sind. Gemäß einer römischen Sage wird die Königswürde 
durch Homer auf dem Haupte angedeutet. So soll der Praetor Genuvius 
Cipus, als er bei seiner Rückkehr von einem siegreichen Feldzuge in einen 
Fluß blickte, Hörner auf seinem Haupte bemerkt haben. Die Haruspices, die 
er darum befragte, sagten ihm, daß Homer die ihm in Rom bevorstehende 
Königswürde bedeuteten. Da er aber als Republikaner niemals König sein 
w^ollte, ging er freiwillig in die Verbannung, weshalb die Römer aus Dankbarkeit 
sein gehörntes Bild in das Tor einmeißeln ließen. Alexander der Große, der 
den Beinamen hatte, ,der mit Hörnern versehene , sagt in der Alexander- 
legende zu Gott: ,Ich v/eiß, daß du meine Homer auf meinem Haupte hast 
wachsen lassen, daß ich die Reiche der Welt zerstoße. Bei den nordamerikanischen 
Indianern sind die Häuptlinge an ihrem Kopfe häufig mit Hörnern geschmückt. 
Der Häuptling der Iroqois-Indianer trug a\s Zeichen seiner Würde Hörner, 
die nach seinem Tode von dem Oberhäuptling auf dem Grabhügel an der 
Stelle, wo sein Kopf unten ruhte, niedergelegt wurden. Erst bei der Einsetzung 
seines Nachfolgers wurden diese Homer vom Grabe genommen und dem neuen 
Häuptling aufs Haupt gesetzt. Auch in Durban tragen die Kaffir-Häuptlinge 
Homer auf ihrem Haupte. ' 

„Die Priester, welche die Stelle der Götter vertraten, nahmen bei zere- 
moniellen Ausübungen die äußere Gestalt der Götter an, die sie repräsentierten. 
Daher trugen die sumerischen und babylonischen Priester zwei HÖrner auf 
ihrer Kopfbedeckung. Die Salier, die römischen Priester des Mars, hatten einen 
Homansatz auf ihrer Mütze. Gehörnte Mützen tragen auch die Priester (Schamanen) 
vieler primitiver Völker, so die der Kamaschinzen (Sibirien), der Musquakie- 
Indianer (Nordamerika). Die Priester der Amurvölker haben ein eisernes 
Hirschgeweih als Kopfschmuck. Eine mit vielen Hörnern versehene Kopf- 
bedeckung, welche die Sonne darstellen soll, wird von den chinesischen Priestern 
getragen. Die Priester und Zauberer vieler afrikanischer Negerstämme sind 
mit Antilopenhörnern ausgestattet, da sie glauben, daß man durch sie im 
Kampfe gegen die Geschosse der Feinde gefeit und auf der Jagd vor den 
Krallen der wilden Tiere und im gewöhnlichen Leben vor Krankheitsdämonen 
geschützt sei. 

Scheftelowitz spricht sodann von Hörnern als Schmuck der heiligen 
Altare in verschiedenen Religionen. Der alte Altar der Hebräer war 2. B, 



-Miij lu lioiiajiiirlc 



mit vier Hörnern ausgestattet, die mit dem Blut der Opfertiere eingerieben 
werden mußtfn. Dann geht er auf das Hörn über, das als Amulett 
gegen Dämonen und den bösen Blick verwendet wurde. (Wir werden 
uns übrigens bald mit diesen magischen Hörnern befassen.) Er schließt, 
indem er noch das VVindliorn, dem auch eine inugische Macht gegen 
Dämonen zugeschrieben wird, und das Füllhorn erwähnt. 

Das Ergebnis des Überblicks über die Arbeit von Scheftelowitz ist 
dasselbe, das wir auch aus jeder anderen Arbeit gewinnen würden, die das 
Material über das Hörnermotiv darbietet. Seit den älleslen Zeiten hat der 
Mensch das Hern als ein souveränes Symbol der Macht betrachtet. 
Einen realen Anhaltspunkt für diese Vorstellung bietet die wirkliche Beob- 
achtung der gehörnten Tiere, bei denen das Männchen die schönsten 
Hörner trägt, die ihm als Angriffs- und Schulzwaffe dienen. Unter den 
Totemtieren der primitiven Stamme finden wir häufig gehörnte Tiere. Doch 
im selben Maße, in dem sich der Mensch zivilisierte, wurden die Götter- 
gestalten immer weniger tierähnlich. Selbst an Stelle der Götter mit 
Menschengestalt und Tierköpfen, treten Götter mil Menschengesichtern, 
bei denen manchmal nur mehr die Homer erhalten geblieben sind. Das 
kommt daher, weil die Menschheit in ihrer Gesamtheit dieselbe Entwicklung 
durchmacht, die jeder Einzelne individuell durchmacht. Für die primitive 
Undifferenziertheit, die gleich dem Kinde, alles was sich bewegt und lebt, 
sei es nun Mensch oder Tier, vermengt, kann das Eine ebenso ein Anderes 
vorstellen, dank der vermittelnden Vorstellung einer Eigenschaft. — z. B. 
der Kraft, — die beiden eigentümlich ist. 

In den Tierphobien der Kinder sind die Tiere meistens ein Vater- 
ersatz und in den Tolemkultcn ist der Totem der Vater des Slammes. 
(Vgl. Freud: Analyse der Phobie eines fünfjährigen Knaben, Ges. Schriften^ 
Bd. VIII, und Totem und Tabu, Ges. Sclirifien, Bd. X.) Doch vollzieht sich 
die Wiederkehr des .Verdrängten, der primitiven Vorstellung, in der 
Geschichte der Menschheit gerade so wie in einer Neurose, und der Mensch 
kommt nach und nach in den Götterbildern, an Stelle der 'Jiere zum Vor- 
schein, wobei er oft vom ursprünglichen Totem nichts zurürkbehaUen hat 
als einige Merkmale, von denen das Hörn das bedeutsamste ist. 



III 

JJie magisclien Höriier 

Hier müssen wir noch einmal auf die Abhandlung von Scheftelowitz 
zurückgreifen. Im VII. Kapitel (S. 474 ff.) über „Hornamulette zur Abwehr 
von dämonischen Einflüssen und zur Überwindung feindlicher Angriffe", 
schreibt er: 

„Figuren gewisser, mit natürlichen Waffen ausgestatteter Tiere, wie auch 
einzehie charakteristische Teile davon, dienen häufig als Abwehrmittel gegen 
dämonische Einflüsse, so die Homer des Stieres, Hii-sches, Widders, der Ziege, 
der Antilope, des Renntieres, femer die Krallen und Zähne oder der zahn- 
besetzte drohende Rachen des Löwen, Tigers, Bären, KrokodUs, Haifisches, 
Hundes, ebenso die Stoßzähne des Elefanten und Ebers. Seihst der Giftzahn 
und stiere Blick der Schlange, der scharfe und spitze Schnabel von Vögeln, 
■wie Adler, Hahn, Schwan, und der Giftstachel des Skorpions, bieten Schutz 
vor dämonischen Angriffen." 

„Figuren von Stieren und gehörnten Löwen dienen den Hindus als Schutz- 
mittel vor dämonischen Einflüssen. Die beim Shivakult verwendeten Gebet- 
schellen sind meist mit einem Stierbild versehen." 

„Aus der ältesten ägyptischen Zeit sind uns zahlreiche Stierkopf amulette 
erhalten, deren Homer häufig abwärts gekrümmt sind. Denselben Zweck hatten 
die in den mykenischen Schachtgräbern gefundenen Goldplättchen, welche Stier- 
köpfe darstellten, die zwischen den Hörnern noch Doppelbeile hatten. Durch 
das angefügte göttliche Symbol der Doppelaxt soll die magische Wirkung des 
Hornes verstärkt werden. Auf dem Henkel einer Silbervase mykenischer Zeit 
aus Cypern sind Rinderköpfe abgebildet, die solche abwärts gekrümmte Hörner- 
paare haben, wie sie auch bei den ägyptischen Amuletten vorkommen. Ebenso 
sind bei einem Kuhkopfamulett aus Santa Lucia die Homer nach abwärts 
gebogen. In einem römischen Grabe, nahe bei der Feste Asperg, fand mau 
neben etruskischen Schalen ein goldenes Amulett in Form eines Hornes mit 
einem Stierkopf, der an der Schnauze ein kleines Locli zum Anhängen hat. 



1^ Aloric BoiiniiJii'tc 



Zum Schutze gegen dämonische Gewalten sind antike Lampen mit Stierfiguren 
versehen. Mehrere antike Amulette haben die Form zweier symmetrisch mit- 
einander verbundener gehörnter Tierköpfe. Aber auch einen menscliHdien, bärtigen 
Kopf mit Stier- oder Widderhörnem, sehen wir auf dem Harnisch an der 
Stelle des Gorgonenhauptes und am Helm. Gehörnte Mannsköpfe brachten 
bereits die Etrusker an Schilden an. In GriechenlHnd werden Münzen mit dem 
Kopfe Alexanders des Großen, der mit Widderhörnern versehen ist, als Schutz- 
mittel getragen. Amulette, die einen Stierkopf darstellen und aus prähistorischer 
Zeit stammen, wurden in Ungarn und bei Felirbellhi (Brandenburg) gefunden. 
Kleine, römische Stierköpfe (aus iJronze), mit einem Loch zum Aufhängen, 
wurden in Köln ausgegraben. In Schw^aben schützt man das Haus vor Dämonen, 
indem man Ochsenköpfe mit Hörnern an dasselbe Jiängt. An dem obersten 
Dachraum alter Häuser im Schwarzwahl, Schwaben, Kranken, Westfalen und 
Baden sind zwecks Bannung von Gewittern, bösen Geistern und Flüchen Stier- 
köpfe oder Roßköpfe angebracht, welche die Niedersachsen in Ornament ver- 
wandelt haben. Glaubt man in Eslhland, daß etwas im Hause bezaubert sei, 
so läßt man alle Geräte von einem Stier anstarren. Stierscliädel mit Hörnern 
finden sich nicht selten an prähistorischen Wohnplätzen in der Art zugerichtet, 
daß man daran denken darf, sie seien zum Anheften etwa an einer Hütte 
bestimmt gewesen. Solche Stücke wurden in bronzezeitlichen Pfahlbauten gefunden. 
Die alten Pfahlbauten der Schweiz ergaben einfache HÖrnerpaare." 

„Das Hörn als der wesentliche Teil des 'Iierkopfes ist in allen Erdteilen, 
wo gehörnte Tiere vorkommen, also in Europa, Asien, Afrika und Amerika 
ein sehr verbreitetes Amulett. In alten bergischeii Häusern sind zum Zwecke 
der Abwehr von Unheil häufig Hornfiguren angebracht. Vereinzelte Reste 
von diesem uralten Brauch haben sich auch in Sachsen erhalten. In Böhmen 
schützt das Hom des Ziegenbockes das Haus vor Ratten und Mäusen. Im acht- 
zehnten Jahrhundert waren die Giebelbretter bei Augustenburg {auf Alsen) 
noch wie Ochsenhömer geformt, .ähnlich den jetzigen auf der dänischen Insel 
LoUand . Sie erinnern am bestimmtesten an das altsächsische horriseli in Heljand, 
das angelsächsische hornreced-, das Hirschdach, im Beowulf und an den Herrscher- 
palast, der heorot, d. i. ,Hirsch' hieß. In Italien sind vor dem Eingang des 
Hauses und in Schlafzimmern häufig Ochsenhörner als Amulette aufgehängt. 
Auf einer antiken Stehlampe, die sich im Museum zu Neapel befindet, sind 
neben dem Skorpion noch zwei StierhÖmer zwecks Verscheuchung von Dämonen 
abgebildet. Im heuligen Italien sind Hörner und Hornhihler ein gewöhnliches 
Amulett, welches man um den Hals oder an der Uhrkette trägt. Auch Ohr- 
und Fingerringe sind mit Hornfiguren versehen. Der ItaHener, der einen bösen 
BUck fürchtet, ergreift ein Hom und wendet dessen Spitze nach der Richtung, 
woher das Unheil kommen soll. Der unsichtbare Dämon wird hiedurch gleich- 
sam niedergestoßen. Der Neapolitaner glaubt schon durch das Aussprechen des 
Wortes corno (Hom) die Dämonen zu bannen. Infolge dieser, dem Home 
innewohnender Kräfte wurde es sehr viel zu Heilzwecken verwendet, beson- 
ders das Hom der Gazelle (carnu huhalum) und das Hirschhorn, indem es zu 
Asche verbrannt wurde, vgl. Plinius {H. N., XXVIIl, 177): dentes mobiles co?i- 



über die Dyinhcilik cicr Kop/tropliäen i5 



firmat cervini carnus cinis. (Die Asche des Hirschhomes befestigt lockere 
Zähne.)" 

„Die etruskischen Aschenumen waren häufig mit Hörnern versehen, um 
die Dämonen davon fernzuhalten. Das Gorgonenhaupt wurde im Altertum 
noch zur Verstärkung der AVirkung mit Hörnern ver/iert. Gerade unter den 
kretischen Funden sind kleine Homeramulette aus Bronzeblech aufgedeckt, 
femer auch zahlreiche gehörnte Geräte. Ein Hörnerpaar aus bemaltem Ton 
wurde in der Höhle von Patso (Kreta) gefunden. Stierhömer, mit einem Doppel- 
beile versehen, kommen auf einer mykenischen Vase von Kypros und auf 
einem Tonsarge aus Palaikastro (Kreta) vor. Mit Hilfe von Tierhömem wenden 
die heutigen Albaner und Türken dämonische Einflüsse ab. Das Hörneraraulett 
ist auch in Malta, Spanien und Portugal verbreitet. In manchen Gegenden 
Portugals sind zur Abwehr des bösen Blickes Ochsenhörner auf Stangen be- 
festigt. " 

„Hornförmige Ansätze an Tongefäßen sind in Caslau (Böhmen) ausgegraben 
worden. Bereits die Bronzezeit der Terramare (im westlichen Oberitalien) 
kennt Doppelhömer als ,symbolische Aufsätze von Schalenhenkeln'. Altgriechische 
Gefäße haben neben den Henkeln zuweilen zwei Homer." 

„In Deutschland diente das Hörn, wie bereits oben erwähnt ist, vor allem 
zum Schutze des Hauses vor Dämonen. Nach isländischem Volksglauben fürchten 
sich Gespenster und sonstige Dämonen vor einem Widderhom, w^enn es ver- 
brannt wird, und Schlaflosigkeit glaubt man in Island dadurch heilen zu können, 
daß man einem solchen Leidenden ein Ziegenhom unter den Kopf legt. Dieses 
Hornamulett ist auch in den jüdischen Volksbrauch übergegangenj wo es die 
Krankheitsdämonen verscheucht, So heißt es in einem judischen Werke, das 
um 1700 verfaßt ist, ,Schreit ein Kind unaufhörlich, so lege man unter sein 
Kopfkissen das Hörn einer Ziege, wodurch es zu weinen aufhört. Eine schwan- 
gere Frau, die schwere Geburtswehen hat, möge in ihrer Hand das rechte 
Hom einer Ziege halten, dann wird sie leicht gebären'." 

„Auch in den verschiedenen Gegenden Asiens treffen wir das Hornamulett 
an. In Kleinasien werden hölzerne Hörner an die Mützen der Kinder genäht, 
wodurch sie vor Dämonen geschützt sind. Im älteren Persien wird ein mit 
Widderhörnem verzierter Stuhl erwähnt, den der König Kai Käös dem Heros 
Rüstern schenkt." 

„Das Hom der Gazelle verscheucht in Indien die Xetriya- Krankheit, und 
als wirksames Schutzjnittel vor Dämonen galt das Satavara-Amulett mit seinen 
zwei Hörnern. Höraer von Schafböcken zieren die Heiligengräber in Turkestan, 
wodurch die Leichendämonen femgehalten werden sollen. Aus demselben 
Grunde sind bei den Alfuren (im Malaiischen Archipel) die Dächer der Toten- 
häuschen, worin die Gebeine beigesetzt werden, mit zwei Stierhornfiguren 
versehen. Der Bergstaram der Khassia errichtet vor den Denksäulen ausge- 
zeichneter Verstorbener Holzgerüste, die mit Stierhömem ausgestattet sind. 
Bei den Bergstänimen von Assam wird nach einem Begräbnis am Rande des 
Dorfes ein Pfahlwerk aus gabelförmigen Stöcken errichtet, woran Büffelhömer 
befestigt werden. In Flores steht auf dem Grabe eines vornehmen Mannes ein 



^ 



i(j Alaric iloiijiparlc 



Bambusstock, der mit Hörnern und Rarbauenschfiddn behängt ist. Hörner- 
amulette trifft man femer an bei den Jakuten, Mahden und den Kachyen 
(an der Greni^e von China und Birma). Audi japimische und cliinesische 
Frat'ien, die als AbweJirmittel gegen die Dämonen gelten, sind gewöhnlich mit 
Hörnern versehen. " 

„Der Glaube, duß das Hörn ein vortrefflichos Scliutzmittel gegen dümonische 
Mächte sei, ist besonders in ganz Afrika verbreitet, llornartige Amulette die 
man sich um den Hals band, sind bereits in ultägyptischen Gräbern gefunden. 
Eine altägyptische Vase ist in Gestalt einer knienden Frau gebildet, die in 
ihrer Hand ein Hörn hat. Das Hörn als Abwehnnittel ist in Algerien in Ge- 
brauch, ferner werden bei den Loango, Wanjoro und liari (am oberen Nil) 
Homer als Amulette getragen. In Ostafrika wird zu diesem Zwecke besonders 
das Antilopenhorn verwendet. Der Fetischdoktor an der Loangokuste trägt 
eine gehörnte Maske, wenn er die in Wäldern hausenden Dämonen vertreibt. 
Im Südosten Deutsch- Afrikas bilden Tierhorner die Schutzmittel gegen Ver- 
zauberung und Krankheit. Bei den Eweem (Togo) trägt jeder Fürst folgende 
Amulette bei sich: an der Brust hängen Büffel- und Widderhörner, während 
das Kleid ringshermn mit Glöckchen best-tzt ist. Der Ewe-Neger hängt sich 
zwei Hörner des kleinen Springbockes als Amulett um, wenn er auf Reisen 
geht. Diese Hörner bewirken, daß er gute Geschäfte macht. Übrigens ist das 
Ziegenhorn in Verbindung mit verknoteten Stricken ein wirksames Schutzmittel 
bei diesen Ewe-Negern. Die Togo-Frauen tragen Hörner als Haartracht, ebenso 
die Männer der Wabuma (oberhalb Stanley Pool). Die Yolof in "Westafrika 
betrachten das Widderhorn als Fetiscli. Will der Eingeborene von Zentral- 
afrika seinen Feind vernichten, so vergräbt er ein Hom unter Aussprechung 
von Verwünschungsformeln. In Kamerun und M'Pangwe werden Antilopen- 
hömer als Schutzmittel gegen Krankheiten und sonstige schlimme Einflüsse 
getragen. Hornamulettej die an die Haare gehängt werden, kommen bei den 
Hottentotten vor." 

„Bei den Indianern der Vereinigten Staaten Amerikas werden Hörner und 
Krallen von vdlden Tieren als Amulette verwendet. Zu demselben Zwecke 
tragen die Chipewyan-In dianer (Nordamerika) Hörner und Zähne auf ihrem 
Körper. Als Schutzmittel gegen Krankheiten trägt der Shoshone-Indianer Büffel- 
hömer. Die Gros Ventre- In dianer haben bei einem religiösen Tanz ein Ziegen- 
horn in der Hand, womit sie jeden in der Nähe weilenden Mensclien stechen 
und kratzen. Die Indianer von Neumexiko rüsten sich, wenn sie in den Krieg 
ziehen, mit den Köpfen und Hörnern wilder Tiere aus. Das Hornamulett 
diente also zur Überwindung feindlicher Angriffe und zur Abwehr von dämo- 
nischen Einflüssen." 

„Die gleiche Verwendung wie die HÖrner hat auch das Geweih des Hirsches 
und des Renntieres seit den ältesten Zeiten gefunden. Antike Hirschgeweih- 
amulette sind bei Vindonissa (Schweiz) und in bajuvarischen Gräbern aufee- 
funden. In Frankreich herrscht der Volksglaube, daß ein Stück Hirschgeweih 
vor Zauberei und Krankheit schütze. Auch in Süditalien, Andalusien und Persien 
wird das Hirschgeweih für ein Abwehrmittel gegen Unlieil gehalten. In Nor- 



- 



wegen glaubt man, daß ein Stück Renntiergeweih die bösen Geister fernhält. 
Die Vorstellung scheint bereits in der prähistorischen Renntierzeit geherrscht 
zu haben. So sind aus jener Zeit viele Fragmente von Renntiergeweih er- 
halten, die als Amulette gedient haben, deren magische Wirkung noch durch 
Fischzeichnungen verstärkt wurden. Nach dem Glauben der Ureinwohner 
Brasiliens wird der Biß einer Giftschlange unschädlich gemacht, indem man 
ein Stück Rehgeweih, das man geröstet hat, auf die Wunde bindet. Bei den 
Dajaks (Bomeo) wird das Hirschgeweih als Amulett verwendet." 

Dieses lange Zitat war unvermeidlich, um die ungeheure Verbreitung 
des Horns, nicht nur als Heldens3'm bol, sondern auch als „magische 
Waffe** zu zeigen. Es geht daraus hervor, daß auch das magische Hom 
ein „ewig menschliches** Symbol ist, das ungefähr allen Ländern und allen 
Zeiten angehört. 

Die Frage drängt sich uns auf: wai-um? Worin besteht die magische 
Eigenschaft, die der Mensch dem Hörne zuschreibt? 

Sie ist unzweifelhaft gleicher Natur wie die des heroischen Horns. Die 
heroischen Hörner auf der Stirne der Götter, der Könige, sind die In- 
signien ihrer Macht. Das kleine Korallenhorn an der Uhrkette des Neapo- 
litaners ist auch ein Abzeichen der Macht. Es ist aber, sozusagen, degradiert, 
es ist nicht mehr, wie bei den gehörnten Göttern, ein Teil ihres Körpers, 
ihrer Person, ihres Wesens, sondern es entspricht gewissermaßen einer 
Trophäe — von der mächtigen Gesamtheit eines anderen höheren Wesens 
abgelöst, dem man auf diese Weise seine Eigenschaften, seine Kraft ge- 
raubt hat, um diese nun für sich selbst zu haben. Dies kommt noch viel 
deutlicher zutage, wenn die Amulette nicht mittels eines anderen Materials 
— wie Gold oder Koralle — imitierte Tierhömer darstellen, sondern 
schlechthin Tiertrophäen sind, wie z. B. die Hörner des Büffels oder 
des Widders, wie sie bei den Ewe in Togo jeder Negerprinz trägt, oder 
die Hörner des Ochsen, die in Italien am Tore des Hauses oder im Schlaf- 
zimmer angebracht werden. 

* 

Die Menschen aller Zeiten und aller Länder haben nicht Hörner allein 
als Amulette besessen, obwohl die große Bedeutung dieses „Fetischs" für 
die Menschheit nicht abzusprechen ist. Alle möglichen Gegenstände dienten 
und dienen noch der magischen Verwendung, das Unglück abzuwenden. 
In seiner interessanten Arbeit über den bösen Blick (Der böse Blick, Berlin 
1916) zählt Seligmann den Dreizack, den Schlüssel, das Hufeisen, die 
Sichel des Mondes, den Nagel eines Tieres, den Zahn, eine Münze, den 

Bon aparte; Kopftrophäen. a 



l8 Marie Bonnpnrtp 



Meteorstein, die Form des Auges, die Mandragorawurzel, die Lilie, den 
Holzschuh und noch viele andere Gegenstände als Amulette auf. Aber aus 
dieser Aufzählung Seligmanns geht hervor, daß vor allem drei Amulett- 
arten bei den Menschen sehr in Gunst stehen: die Hand, das Hörn und 
der Phallus. 

Seligmann schreibt (Bd. H, S. 188}: 

„Der Phallus oder das männliche GHed war im Altertum ein Hauptmittel 
gegen die Faszination und wiu-de deswegen von den Kömern auch fascinum 
genannt. Es ist wohl kein Gegenstand so häufig bei fast allen Völkern der 
Erde dargesteUt worden, wie der Phallus, und deshalb müssen wir uns um so 
mehr davor hüten, in jedem Bilde desselben auch ein Schutzmittel sehen zu 
wollen. " 

Demnach teilt der Phallus das Schicksal des Hernes: ebenso wie es 
heroische und magische Hörner gibt, gibt es heroische Phalli, Merkmale 
oder Vertreter der größten Götter, wie z. B. Lingam. der auf dem Berge 
Meru (Seligmann, Bd. H, S. 189) in Indien, in engem Zusammenhang 
mit dem Shivakult, angebetet wird, und auch magische Phalli, wie z. B. 
die zahlreichen Phalli, die bei italienischen Ausgrabungen gefunden worden 
sind und als Amulette getragen wurden. 

„Der Glaube" — schreibt Seligmann (Bd. II, S. 202) — „an die schützende 
Kraft des Phallus ist noch nicht ausgestorben. Man verkauft sie in großen 
Mengen in Neapel, alle ithyphallisch, manchmal gellügelt oder von einer Schlange 
umgeben, und fast alle mit einem Ring aum Anhängen versehen. Man be- 
festigt sie gegen die jettatura an die Schultern der Rinder, und in Sizilien, 
Syrien imd auf den Cycladen, hängt man sie um den Hals, Im italienischen 
Argot heißt der Phallus corno." 

Dies bringt uns unserem Thema näher. Wir wissen, daß die Sprache 
oft tiefere Zusammenhänge aufdeckt, die im Unbewußten zwischen den 
Dingen bestehen, und wir haben bereits geahnt, daß zwischen dem Phallus 
und dem Hörn auch solch ein Zusammenhang vorliegen muß. 

Dieser Zusammenhang stützt sich vor allem auf physiologische Tat- 
sachen. Gewiß gibt es auch weibliche Tiere, die Hörner haben, wie 
z, B. die Kuh, die Ziege, doch sind die stark entwickelten Hörner in der 
Tierwelt immerhin Merkmale des männlichen Geschlechtes. Die Kuh hat 
viel kleinere HÖrner als der Stier und die Hirschkuh kann sich in dieser 
Beziehung nicht mit dem Hirsch vergleichen. 

Es überrascht uns gar nicht, daß das Unbewußte des Menschen, das 
ohnehin so dazu 'neigt, sich aller Gegenstände als Symbole, vor allem als 
Sexualsymbole zu bedienen, in dem Hörn, dem mächtigen Merkmal der 



Ulicr ilie Symbolik Jcr Kopftropliäcn lO 

Männlichkeit, ein Phallussymbol gesehen hat, von dem alle Kraft herrührt. 
Gewisse alte römische Amulette drücken diese Symbolik sogar direkt nach 
der Art des Unbewußten aus, nämlich durch Nebeneinanderstellung. 
Seligmann reproduziert ein solches Amulett (Fig. 60), einen Stierkopf 
(nach Knight, Worship of Priapus, Fig. 3, 2), der oben Hörner und unten 
zwei Phalli trägt. 

Wenn die Hand mit dem Phallus und dem Hörn die Ehre teilt, 
eines der drei Hauptamulette der .Menschen zu sein, so verdankt sie dies 
ihrer auserwählten symbolischen, phallischen Bedeutung, die niemandem, 
der mit der Psychoanalyse vertraut ist, erst näher erklärt werden muß. 
Die verschiedenen Stellungen der Hand, die wir auf den Amuletten finden, 
sind gerade für die Frage der HÖrner äußersi lehrreich. Es gibt drei Haupt- 
stellungen : die ausgestreckte Hand, häufiges Amulett bei den Mohamme- 
danern (Seligmann, II, S. 68), die mano cornuta der Italiener (bei welcher 
der Zeigefinger und der kleine Finger die Hörner bilden) und die mano fica 
(bei welcher der Daumen zwischen den Zeigefinger und den Mittelfinger 
der geschlossenen Hand gesteckt wird). Um den bösen Blick zu bannen, macht 
man mit der eigenen Hand entweder den Gestus der mano cornuta oder 
den der mano fica. Der Gestus der mano fica stellt symbolisch die Vereini- 
gung der beiden Geschlechter dar und daher kommt es auch, daß sie bald 
die Bedeutung einer Beleidigung, bald die der Abwehr des bösen Blickes 
hat: d. h. sie hat immer die Bedeutung einer gegen jemand gerichteten 
Machthandlung, sei es zum Angriff oder sei es zur Verteidigung. Der Gestus 
der mano fica scheint noch mehr verbreitet zu sein als der der mjtno cornuta 
(Seligmann widmet dem ersteren jedenfalls mehr Seiten, mano cornuta, 
11, S, 136, manofica,l\,S. 184 ff.), vielleicht weil er unverblümter sexuell 
ist als der der mano cornuta. Dieser Gestus ist bei den Italienern, Fran- 
zosen, Spaniern, Engländern, Ungarn, Polen usw. gebräuchlich; er wurde 
schon im Mittelalter gemacht und die Ausgrabungen in Italien haben uns 
häufig Amulette geliefert, die auf der einen Seite einen erigierten Phallus 
und auf der anderen, ganz symmetrisch, eine mano fica trugen und in der 
Mitte, zwischen den beiden, noch einen kleinen Phallus {Seligmann, 
Fig. 178). 

Bei diesen letzteren Arten von Amuletten zeigt uns die Nebeneinander- 
stellung der m.ano fica und des Phallus das, was wir bereits wußten, die 
enge symbolische Verwandtschaft der Hand mit dem Phallus. Bei der ein- 
fachen mnno fica stellt der Daumen den Phallus vor, wie bei der ein- 
fachen mano cornuta der Zeigefinger und der Daumen die Hörner vor- 



Alai'ic ßdiKipnrti; 



Stellen. Es scheint, daß die Hand bei der inano cornuta die Rolle des 
tertium comparationis zwischen dem Hörn und dem Phallus spielt und dazu 
beiträgt, den Zusamnienliang zwischen beiden herzustellen. 

Mit einem Wort, der symbolischphallische Sinn der Hörner 
scheint ein allgemeiner zu sein. Als Wahrzeichen der männlichen Macht 
schützen bei vielen Völkern die Tlörner das Haus und schmücken die 
Stirne der größten Götter. Und eben diese symboUsch-phallische Bedeutung 
schafft die heroischen und die magischen Hürner. 

Dieselben Gegenstände können einmal heilig, einmal magisch und 
einmal obszön sein. Seligmann (11, S. 193) macht darauf aufmerksam, 
wie schwer es manchmal sei iestzustellen, ob ein Gegenstand die eine 
oder andere der drei Bedeutungen habe. Es versteht sich von selbst, daß 
der Phallus einmal heilig, einmal magisch und einmal obszön sein kann; 
auch die Hand — dem Phallus nahe verwandt (sogar in der Wirklichkeit, 
durch die Zusammengehörigkeit bei der Masturbation) — kann diese drei 
Charaktere annehmen : heroisch, wenn sie die bewaffnete Kraft, die Macht 
symbolisiert (vgl. Seligmann, Kig. 148, eine Hand, die Standarte einer 
römischen Legion überragend), magisch, wenn sie durch ihr Fluidum 
den bösen Blick, die schädlichen Einflüsse bannt; obszön in gewissen 
Gesten — in denselben, die sonst „magisch" sind (z. B. mano fica, Rück- 
kehr zum primitiven Sinn). Wir haben gesehen, daß das Hörn heroisch 
oder magisch sein kann — sein obszöner Charakter kommt weniger zum. 
Ausdruck. Und dennoch kann der Gestus des mit der Hand gemachten 
Homes, gerade so wie der der mano fica, obszön erscheinen, besonders 
wenn — wie Storfer behauptet — es eine Anspielung auf die Hörner 
eines betrogenen Ehemannes vorstellen soll. In diesem Gestus liegt aber 
weniger Obszönität als Ironie. Wir müssen uns allerdings noch etwas 
gedulden, bevor wir den Versuch machen können, dieses Problem zu 
lösen. 

* 

Zum Abschluß dieses Kapitels über die magischen HÖrner möchten 
wir noch einige Worte über die Magie im allgemeinen sagen. 

Freud hat uns in „Totem und Tabu" den animistischen Mechanismus 
der Magie, die „Allmacht der Gedanken", die Projektion der eigenen 
Wünsche, an die der Primitive glaubt, gezeigt. Alle magischen Praktiken, 
die heute noch im Volksaberglauben erhalten geblieben sind, sind Überreste 
jener fernen Zeit. 



Aber diese alten Bildungen leben heute noch in jedem unserer Kinder. 
Unsere Kinder — jedes zu seiner Zeit — glauben an Feen, an ihre Zauber- 
Stäbchen, mit denen sie sich, in ihrer Einbildung, selbst ausstatten. Der 
Zauberstab des Zauberers oder der Fee ist eigentlich dasselbe, was wir hinter 
dem Symbol der Hand und des Hernes entdeckt haben: der allmächtige 
Phallus, der Schöpfer alles Lebenden. 

Die Magie ist in der Tat sehr nahe mit der Erotik verwandt. Während der 
Wilde und das kleine Kind an die Allmacht ihres Gedankens, an seine 
Fähigkeit, die Welt neu zu erschaffen oder sie umzuwandeln, glaubt, muß 
der zivilisierte Erwachsene, leider, diese Illusion aufgeben. Es gibt jedoch 
ein Gebiet, auf dem er sich, mit vollem Recht, weiterhin allmächtig, 
schöpferisch fühlt, sogar wenn es diese magische Macht verwendet — und 
das ist die Erotik. Denn der Mensch fühlt, daß die Magie, die Fähigkeit, 
die Welt neu zu erschaffen, sie umzuwandeln, in der in ihm steckenden 
schöpferischen Kraft liegt. Die erotische Funktion ist die einzige aller unserer 
Funktionen, die uns die innere Empfindung des Feenhaften, des Zauberhaften 
verleiht. Und nur durch den Beitrag, den die Erotik ihr liefert, erhalt die 
Ernähr ungsfunktion ihren magischen Anstrich, wie z. B. in den Märchen, 
in denen die Königin durch den Genuß einer bestimmten Frucht be- 
fruchtet wird; die Tatsache der Nahrungszufuhr allein wird noch nicht 
als „magisch" empfunden. 

Und ist die Erotik bis in die Tiefe unseres Körpers nicht eigentlich 
die Magie? Wir essen, verdauen, schlafen, haben unsere Absonderungen 
und dabei beherrscht eine dunkle Regung unseren Körper, eine Art von 
nervöser Erregung, die wir meistens nicht begreifen können: es ist die 
Kraft, die erotische Spannung. Und wenn in unserem Körper, der so 
friedlich schien, das sexuelle Verlangen deutlicher zutage tritt, haben wir 
das Gefühl, als hätten sich unsere Zellen umgewandelt; und die Be- 
friedigung unseres sexuellen Verlangens, der Orgasmus, erscheint wirklich 
wie ein magischer Vorgang, der unseren Körper in eine ganz andere Sub- 
stanz verwandelt, die uns, einen Augenblick vorher, noch unbekannt vrai. 
Alles, was mitUebe, mit dem geliebten Objekt, das uns bezaubert, zusammen- 
hängt, hatte von jeher-'den Charakter des „Magischen . 

Obwohl jede Funktion, jedes Organ, jeder Körperteil durch die flottierende 
Libido „erotisiert" werden kann, ist es nicht zu übersehen, daß jedes Organ, 
jeder Körperteil, außer der magisch wirkenden libidinÖsen Funktion, in 
dessen Dienst er sich stellen kann, auch eine Funktion für sich hat. 

Der Magen ist gewiß zur Verdauung bestimmt, obwohl er eines jener 



22 Axjiiic ßoiiapiirte 



Organe ist, das die Konversionshysterie bevorzugt. Die Hand ist gewiß die 
Hand an sich und gleichzeitig ein I'hallussymbol. Man könnte an dieser 
Stelle an das psychoanalytische Scherz.wort erinnern: „Das Flugzeug ist ein 
Sexualsymbol, aber man kann damit auch von Wien nach München 
fliegen." Die Hand ist dazu da, die Ctegenstünde zu fassen, Substanzen 
zu formen und Waft'en zu halten; desglciclien sind das llorn, das Auge 
an sich auch Waffen der Macht; und wenn wir uns im Kampfe befinden, 
so haben die Hand, die die Lanze oder das Schwert halt, das Hörn, das 
schlägt und niederstoßt, das Auge, das den li'eind erblickt und den Stoß 
lenkt, ihren Wert an sich. Und noch viel mehr Anspruch darauf hat der 
Kopf, der Behälter des Gehirns, der die Hand, das Auge und das Hörn 
lenkt. Man muß aber einen Unterschied machen zwischen der Kraft und 
der Funktion, die jedem Glied, jedem Organ innewohnt und der symbolischen 
Kraft, die entweder durch eine wirkliche oder eingebildete Verschiebung 
der Libido auf dieses Organ demselben zugeschrieben wird. Das Köpfen 
erscheint in den Traumen, trotz des unleugbaren Wertes, den der Kopf 
als Körperteil an sich vorstellt, dennoch als Kastralionssymbol; der Kopf 
wird im Traum dem Penis gleichgestellt. Jedes Organ, jeder Körperteil 
und sei er noch so sehr berechtigt, seine Autonomie zu beanspruchen, ist 
für einen solchen Libidozuschuß empfänglich, und unzweifelhaft bildet 
diese Tatsache die Grundlage zur Sexualsymbolik verschiedener Körperteile. 
Durch diesen Zuschuß wachst die diesem Organ, diesem Gliede, diesem 
Körperteil innew{)hnende Kraft in der Einbildung des Menschen, bis sie 
— bewußt oder unbewußt — einen übernatürlichen, magischen Wert 
erwirbt, und das Organ, das Glied, der Körperteil fängt an, außer seiner 
eigenen Funktion noch eine andere, von der Erotik herrührende Funktion 
darzustellen. 

Diese, dem einen oder anderen Körperteil zugeteilte libidinöse Funktion 
tritt um so klarer hervor, je weniger eigene Kraft der in der Vorstellung 
erotisierte Körperteil an sich besitzt und je mehr Kraft er durch die ihm 
hinzugefügte Symbolik erwirbt. Dies gilt z. B. für das Haar. Es ist sicher, 
daß die Stärke eines Menschen nichts mit seinem Haar zu tun hat ; das 
wußten die Römer, ein überaus männliches Volk, und rasierten sich ohne 
Bedenken Bart und Kopfhaar (wie heute die Amerikaner). Das Unbewußte 
des Menschen hat jedoch den Mythus von Simson geschaffen, der in der 
Folklore nicht ganz allein dasteht. Durch Dalilah wurde ihm die Kraft mit 
seinem Haar genommen. Dies ließe sich nur durch die unbewußte „Ver- 
schiebung" der männlichen, phallischcn Kraft auf das Haar erklären; 



T7ber die SymooliL der Kopltropliäen 2^ 



anderseits isl es bekannt, daß die alten germanischen Recken ihr langes 
Haar als heilig betrachteten, und wenn Simson mit seinem Haar seine 
Kraft verliert, so will das bedeuten, daß sein Haar symbolisch eigentlich 
sein Phallus ist. Und nun nähern wir uns dem neuen Gegenstand, mit dem 
wir uns befassen wollen. 



IV 
-L)ie ivnegstropkäen 

Wir finden bei den unzähligen Volksstiimmen. bei denen der Brauch 
bestanden hat oder vielleicht noch besteht, dem Körper ihrer besiegten Feinde 
Trophäen abzunehmen, drei Hauptarten von Trophäen, die mit den drei 
häufigsten Amulettarten übereinstimmen: den Phallus, die Hand und 

da der Mensch von Natur aus kein Horntier ist — an Stelle der Hörner 
den Kopf — oder das Haar. 

Von den Assyriern wissen wir zum Beispiel, daß sie „die Kopfe abschnitten, 
während die Ägypter Hände und Phalli vorzogen und die amerikanischen 
Indianer Skalpe".' Doch wollen wir uns nicht bei den alten Völkern auf- 
halten, wir sind durchaus nicht darauf angewiesen, unsere Beispiele aus 
dem grauesten Altertum hervorzuholen. 

In ganz Ostafrika und zum großen Teile auch in Nordafrika sind die 
phallischen Trophäen erhalten geblieben und die Bemühungen der 
Kolonisierung haben in vielen Gebieten diese alte Sitte nur schwer be- 
kämpfen können. Um uns zu überzeugen, genügt es zu lesen, was StoU" 
darüber schreibt; es sind übrigens Tatsachen, die während des italienischen 
Feldzuges in Abessinien allgemein bekannt waren: 

„Die Verstümmelung erstreckt sich bei gewissen afrikanischen Völkern auf 
die gesamten männlichen Genitalien, die radikal amputiert werden, und zwar 
nicht erst beim getöteten, sondern aucli beim noch lebenden, überwundenen 
Feind. Diese Art der Kastration war früher auch in der Kriegführung der 
bekanntlich christlichen Abessinier allgemein üblich, und Herr A. Hg erzählt 
mir, daß noch im letzten italienisch-abessinischen Kriege in der Schlacht von 

i) Olmstead: History of Assyria, S. 646. New York-London 1923. 
2) Geschlechtsleben in der Völkerpsychologie. Leipzig iqo8. 



über die Symbolik der Kopurophnen »5 

Adua viele Italiener in dieser Weise durch die Radikalamputation ihrer Geni- 
talien kastriert worden sind. Viele davon blieben am Leben und Ilg sah sie 
noch jahrelang nach der Schlacht in Abessinien, wo sie gebheben waren. Kaiser 
Menelik verbot zwar die Kastration als Kriegssitte strikte, sie wird aber dennoch 
auch jetzt (1908) praktiziert, und zwar auch außerhalb des Krieges. So erzählt 
mir Herr Eg, daß ein abessinischer General, der seine Bauern hart drückte, 
von diesen kastriert wurde, da sie ihn nicht zu töten wagten. Die von den 
Abessiniem als Kriegstrophäen amputierten Genitalien, Skrotum und Penis, werden 
geschunden, indem man die Haut davon abzieht, sie aufbläst und ausstopft, um 
sie dann als Trophäen am Halse der Reitpferde anzubringen oder im Innern 
der Häuser über der Tür aufzuhängen. In einem abessinischen Hause sah Eg 
nicht weniger als vierundz wanzig solcher präparierter Genitalien." 

Stoll berichtet sodann auf den folgenden Seiten, daß die Kriegskastration 
bei den Galla, Nachbarn der Abessinier, noch gebräuchlich ist (1908). Und 
er zeigt an Hand auch von weiteren, andere benachbarte Stämme be- 
treffenden Beispielen, daß diese Art von Trophäen dem Krieger, der sie er- 
rungen hatte, Achtung verschaffte, Achtung von seiten des Häuptlings und 
der Schönen, denen er sie als das wertvollste Hochzeitsgeschenk, als Hals- 
ketten, anbot. Die Achtung steigt mit der Anzahl der Trophäen. 

Anderseits haben wir in Frankreich alle während des Riffeidzuges gegen 
Abd-el-Krim davon sprechen gehört, daß die Truppen Abd-el-Kriras die 
französischen Gefangenen kastrierten. Die französischen Soldaten fürchteten 
die Gefangennahme wegen des fürchterlichen Schicksals, das ihnen die Riff- 
bewohuer bereiteten, indem sie der Hinrichtung alle möglichen Torturen 
und Verstümmlungen, von denen die Kastration die beliebteste war, voraus- 
schickten. Alle Offiziere der marokkanischen Armee können dies bezeugen. 

An einer anderen Stelle (S. 987) schreibt aber Stoll: 

„Die klassischen Gebiete für die gewaltsame, gegen den Willen des Be- 
troffenen durchgeführte Kastration sind von uralter Zeit her Asien und die 
Länder von Nordostafrika gewesen: kein einziger ethnischer Fall von blutiger 
Entmannung an Lebenden ist aus Amerika, Australien und Polynesien bekannt 
gew^orden, trotzdem in diesen Gegenden die Genitalien ebenfalls der Gegenstand 
zahlreicher chirurgischer Eingriffe geworden sind und trotzdem vnr für Amerika 
in den Mujerados der Pueblo-Indianer einen eigentümlichen Fall absichtlicher, 
aber unblutiger Entmannung kennen gelernt haben. 

Alle Angaben stimmen in einem Punkte überein: bei den Indianern 
von Südamerika, bei denen Kopftrophäen üblich waren, und bei denen 
von Nordamerika — so berühmt wegen ihres sonderbaren Brauches des 
Skalpierens (ein Brauch, der sie übrigens vor dem Vorwurf der weiblichen 
Sanftheit schützt) — scheint im allgemeinen das Amputieren von 



Phallustrophäen weder an Lebenden noch iin Toten vorgenommen 

worden zu sein. Georg Friederici schreibt in seiner schimen Dissertation, 

„Skalpieren und ähnliche Kriegsgebriiuche d(;r Indianer , S. 74 (Braan- 

schweig 1906) folgendes: 

„Diese Sorte Trophäen (die Genitalien) . . . findet sich unter den Eingeborenen 
Amerikas so gut wie gar nicht. Von solchen Z,ustiinden wie in Afrika, wo der 
Gallaiünghng oline die Überreichung einer solciien Trophäe nicht hoffen konnte 
das Jawort seiner Geliebten zu erlangen, wo man in Ermanglung von Feinden 
in der Verlegenheit Esel für diesen Zweck kastrierte, wo sicli die Frauen Hais 
und Arme damit schmückten und wo sie liei Paraden und feierlichen Einzügen 
zur Schau getragen wurden, von solchen Zustünden ist in ganz Amerika keine 
Spur. Es ist überhaupt fraglich, ob Genitalia bei den Indianern in einem ein- 
zigen Falle als wirkliche Trophäen aufgetreten sind. Mißhandlung und Ab- 
schneidung der Geschlechtsteile war eine regelmäÜige liegleiterscheinimg der 
Leichenverstümmlung und der Tortur, denen sich nacli den übereinstimmenden 
Zeugnissen mit ganz besonderer Vorhebe die Weiber hingaben; als Sieges- 
zeichen galten solche abgeschnittene Stücke aber nicht. Die Frauen trieben 
Spott und Kurzweil mit ihnen, hingen sie iliren Hunden um den Hals und 
jagten diese unter Lachen und schlüpfrigen Scherzworten vor sich her." 

Alle diese Angaben geben uns zu denken, h's ist allerdings sonderbar, daß 
die phallischen Trophäen gerade dort fehlen, wo die Kopftrophäen 
— ganze Köpfe oder Skalpe — in hohen Ehren stehen und daß, wenn in 
dieser Gegend Toten oder Gefangenen dennoch die Geschlechtsteile abge- 
schnitten werden, diese nicht mehr als heroische Trophäen behandelt 
werden, sondern dem Spotte anheimfallen. Man könnte sagen, um sich 
analytisch auszudrücken, daß die Libidobeselv.ung von ihnen zum großen 
Teile zurückgezogen worden ist. zugunsten des Kopfes, der dadurch zur 
Trophäe wird, auf der nun bei diesen Völkern die ganze Kraft des Akzentes 
ruht. 

Nicht nur die amerikanischen Indianer, sondern alle jene Völker, die 
Kopftrophäen verehren, scheinen die Genitaltrophäen vernachlässigt, ihnen 
einen mehr oder weniger bedeutungslosen Platz eingeräumt zu haben. Wir 
haben bereits gesehen, daß die Assyrier Köpfe abschnitten, während die 
Ägypter Phalli und Hände abschnitten und die Marind-Anim, z. B., auf Neu- 
Guinea,^ — große Kopfjäger bis zum Jahre 1913, in dem die holländische 
Regierung ihren Beutezügen ein Ende machte — legten nur auf diese eine 
Trophäe Gewicht, sowie auch die Dayaks von Borneo. 

Unseren Feststellungen stehen vielleicht irgendwo auch Ausnahmen gegen- 



l) Wirz: Die Marind-Anim. Hamburg' 1922—1925. 



UliLT ilic oymUolik icr Kopitropliüen a^ 

Über, doch kennen wir sie nicht, und es scheinen im allgemeinen die Kopf- 
und Phallustrophäen miteinander zu Vikariieren. 

Was mag wohl die Ursache sein dieses Gleichgewichtes zwischen der Be- 
deutung der kriegerischen Ehre, die einmal der Phallustrophäe und das andere 
Mal der Kopftrophiie bei den verschiedenen Völkern zugeschrieben wird? Wie 
kommt es, daß, was die eine an Ehre verliert, die andere regelmäßig gewinnt, 
wie wenn eine einzige und gleiche Menge von Ehre nicht gleichzeitig 
mehreren menschlichen Korperteilen zuteil werden könne und daher einmal 
dem einen und einmal dem anderen Körperteil zuteil werden müsse? 

Wir haben hier, so scheint es mir, ein schönes Beispiel von Libido- 
versc hiebung vom Unterkörper auf den Oberkörper. Dieser Prozeß — 
klassisch in den Erscheinungen der Konversionshysterie, häufig sowohl in 
den individuellen Träumen als auch in den kollektiven Mythen — kann 
nun hier auf einer ethnologischen Stufe beobachtet werden. 

Die Kopftrophäe scheint ein Fortschritt gegenüber der Genitaltrophäe zu 
sein, zuzuschreiben einem zivilisatorischen Vorgang, einer Art von „Subli- 
mierung". Während die Phallustrophäe häufig bei Völkern, wo sie in Blüte 
ist, von der Handtrophäe begleitet auftritt, ohne jedoch jemals von dieser 
ersetzt zu werden (alte Ägypter, Soldaten des Abd-el-krim), beansprucht die 
Kopftrophäe dort, wo sie vorkommt, fast die ganze Ehre für sich allein. 
Das kommt dalier, weil die Hand, ein einfaches Organ des Handelns, weniger 
„sublimiert" ist als der Kopf. Der Kopf, Träger der Sinnesorgane und des 
Gehirns, ist von anderer, vornehmerer Beschaffenheit, und sowohl die Primi- 
tiven als auch die Völker des Altertums haben seine innige und phylo- 
genetische Verwandtschaft mit den libidinösen Kräften in dem Brauche der 
Kopftrophäen, die, wo immer sie auftauchten, an Stelle der phallischen 
Trophäen getreten waren, herausgefühlt. Diese Verschiebung des Akzenles vom 
Unterkörper auf den Oberkörper hat sich, in bezug auf Trophäen, in der 
Geschichte und sogar in der Urgeschichte der Menschheit, teilweise sehr früh 
vollzogen . 

Der Brauch, den Kopf der Toten aufzubewahren^ hat schon in den 
ältesten Zeiten bestanden. Als Beweis dienen die Schädel in Form von 
Trinkschalen, die man in den Pfahlbauten auf dem Bieler See gefunden 
bat und die von Herodotos erwähnten Schädel, die dieselbe Verwendung 
hatten : bei den Issedoniern tranken die Söhne zu feierlichen Gelegenheiten 



i) Vgl. Richard Andre«: Ethnographische Parallelen und Vergleiche, S. 127 ff. 
Artikel „Schädelkultua". (Stuttgart 1878.) 



aS M«rie Boniipartc 



aus dem Schädel des Vaters; bei den Skythen waren es die Schädel der ver- 
haßtesten Feinde oder diejenigen von Verwandten, mit denen man in Fehde 
lebte (Andree, S. 153). Der Brauch, aus Schädeln zu trinken, der, wie 
Friederici sagt (S, g6) überall in der gleichen Form aufgetreten war, so daß 
eine Beschreibung dieser Bräuche bei den Germanen Wort für Wort auf 
die Araukanier angewendet werden könnte, hat seine Spur in der Sprache 
zivilisierter Völker zurückgelassen. Das Wort cuppa zeugt von einer alten 
Verwandtschaft mit dem Wort Kopf; das moderne deutsche Wort Schale, 
bedeutete im Altdeutschen auch Schädel; es ist bekannt, daß das Wort „Skaal" , 
mit dem die Skandinavier einander zutrinken, dasselbe Wort wie das englische 
„skult (Schädel) ist. 

Bei Herodotos finden wir, daß in dieser Hinsiclit sowohl dem Vater, als 
auch dem Feinde oder dem Verwandten, mit dem man in Zwietracht gelebt 
hatte, dieselbe Behandlung zuteil wurde: man trank bei feierlichen Gelegen- 
heiten aus den Schädeln von allen. 

Der Brauch, die Schädel der Vorfahren — wenn auch nicht als Trophäen ■ — 
als Gegenstand der Verehrung für die Nachkommen aufzubewahren (ein 
Brauch, der sich bis heute in gewissen Reliquienkulten von Heiligen und sogar 
in der häufigen und verbreiteten Gewohnheit, Haarlocken geliebter Toter auf- 
zubewahren, erhalten hat) ist überall, wo er besteht, mehr oder weniger mit 
dem Brauch, die Schädel gefürchteter Feinde als Trophäen zu behalten, ver- 
™e^gt, gleichviel, ob man sie einem mächtigen Gott in Hekatomben als 
Sühnopfer darbrachte, wie die Azteken von Mexiko an Huitzilopochtli ihrem 
Kriegsgott (Friederici, S. 79), oder sie als persönliche Trophäe aufbewahrte, 
um sie sodann seinen Kindern als glorreiches Erbstück zu hinterlassen. 

Dies ist keineswegs Überraschend für uns. Hat uns doch Fieud gezeigt 
(in „Totem und Tabu"), wie der Primitive nach dem Urmord an dem „Vater" 
der Urhorde von Reue gepackt sein mußte, die dazu führte, daß er einer- 
seits durch Projektion den geliebten und gefürchteten Vater in dem Totem- 
tier und anderseits den gehaßten Vater in jedem seiner wirklichen „Feinde" 
wieder auferstehen ließ. Doch war der Haß, der die herangewachsenen 
Söhne zum Vatermord trieb, nur die eine Seite des ambivalenten Gefühls, 
das sie an den Vater band, des Gefühls, das unter dem Einfluß des Schuld- 
gefühls, in seiner positiven Komponente wiederauferstehend, den Totem 
geschaffen hatte. Dasselbe Gefühl mit seiner Ambivalenz ist oft auf die 
wirklichen Feinde übertragen worden : denken wir nur an die „Versbhnungs- 
zeremonieUe", die die Wilden ihren getöteten Feinden aufführten und vor 
allem an die sonderbare und freundschaftliche Art, in der die Dayaks die 



über <Jie Sviitolilt der Kopftroplineii ap 

heimgebrachten Köpfe ihrer Feinde behandelten.' Der Feind hat also etwas 
vom Vater, ebenso wie der Vater, und zwar in höherem Maße, etwas 
vom Feinde an sich hat, dessen erstes Vorbild er eigentlich war. 

Aus diesem Grunde sind alle vom Feinde herrührenden Trophäen, 
gleichviel ob Phallus, Hand, Kopf oder Skalp, gleichzeitig die mit Neid be- 
gehrte Urtrophäe, die die siegreichen Söhne nun endlich dem überwältigten 
Leib des Vaters entreißen konnten, dieselbe Trophäe, die schon Zeus dem 
Leibe Kronos und dieser dem Leibe Uranos entrissen hatte. 

Daher rührt die Kraft, der Ruhm, die Ehre, die die Kriegstrophäe dem 
verleiht, der sie erringt. In dem totemistischen Opfer, dem gemein- 
samen Mahle, bei dem man auf rituelle Weise das heilige Tier verzehrte 
(— sonst den lüsternen Kindern versagt — ) glaubten die Primitiven, indem 
sie das Totemtier, die Vaterimago, verzehrten, sich gleichzeitig seine Kraft 
einzuverleiben, wie sie sich bei dem kannibalischen Urmahle, dessen ritu- 
elle Reproduktion das Totemmahl vorsteUt, die Kraft des Vaters im Wege 
der Identifikation dadurch einverleibten, daß sie ihn tatsächlich verspeisten. 
Dieser ganze Ritus beruht auf der kontagiösen Magie. Es wäre interessant 
nachzuforschen, bis zu welchem Grade heute noch dieser archaische Begriff 
den Glauben an die organotherapeutische und endokrinologische Behand- 
lung bestärkt. Doch die kontagiöse Magie, die Idee, daß die Kraft höherer 
Wesen sich uns durch den Kontakt mitteilen kann, erstreckt sich auch 
auf andere Formen des Kontaktes, als auf den — den innigsten — des 
Essenden mit dem Gegessenen. Der Besitz der Trophäe des Feindes, seines 
Phallus, seiner Hand oder seines Schädels, der Besitz der möglichst größten 
Anzahl dieser Trophäen, verleiht dem Krieger, der sie erringt, in der pri- 
mitiven Vorstellung, einen dementsprecheuden Zuschuß an Kraft. 

Wir alle haben eigentlich in der Tiefe unseres Unbewußten Spuren 
dieses archaischen Gefühls bewahrt. Kommt der Weiße mit einer über- 
wiegenden Anzahl von Wilden in Berührung, wie z. B. in den Kolonien, 
so fängt die Verdrängung seiner alten Triebe an nachzulassen; er gibt sich 
manchmal Grausamkeiten hin (man denke etwa an den bekannten Prozeß 
der belgischen Grausamkeiten im Kongo vor einigen Jahrzehnten) und nimmt 
gelegentlich sogar den Trophäenbrauch an, der bei den ihn umgebenden 
Wilden üblich ist. 

Die Geschichte des Skalpierens in Nordamerika ist in dieser Hinsicht 
äußerst lehrreich. Bei Friederici können wir über die Emsigkeit lesen, 



i) Freud: Totem und Tahu. (Ges. Schriften, Bd. X. S. 49.) 



3o Alane üunaparti: 



mit der Engländer und Franzosen, nach der Eroberung dieses Konti- 
nents, in bezug auf die „Skalpprämien" miteinander wetteiferten. Gewisse 
Indianerstämme skalpierten vor dem Auftauchen der Weißen, aber nicht 
alle- Durch die Einführung der Skalppräraien verliehen die Weißen diesem 
Brauche erst den nötigen Umfang. Sie zahlten nicht nur den verbündeten 
Indianern Prämien, wenn diese ihnen Skalpe feindlicher oder nichtfeind- 
licher Indianer brachten, sondern auch häufig ihren eigenen Soldaten und 
viele weiße Hände haben das Skalpiermesser gehandhabt, und zwar häufig 
auch an Schädeln, die mit weißer Haut bedeckt waren. Im achtzehnten 
Jahrhundert, zur Zeit des französisch-englischen Krieges, erreichte der Brauch 
des Skalpierens und der Prämien seinen Höhepunkt; die Engländer über- 
boten die Preise, die die Franzosen zahlten (nicht weil sie die grausameren, 
sondern weil sie die reicheren waren) und vielleicht die höchsten Prämien, 
die jemals angeboten wurden, zahlten die Abkömmlinge der Puritaner für 
die Skalpe von französischen Jesuiten, hatten ja schon ihre Vorfahren 
solches Vorgehen durch Beispiele, die sie der Bibel entnahmen, gerecht- 
fertigt. Selbstverständlich haben heule die Amerikaner diese Erinnerungen 
„vergessen , verdrängt. 

Zweifellos sprachen auch rationelle Gründe für die Förderung dieses 
Brauches; er begünstigte tatsächlich das Verschwinden feindlicher Stämme 
und trug in ausgiebiger Weise dazu bei, den amerikanischen Boden von 
den Eingeborenen zu säubern und ihn der weißen Zivilisation zugänglich 
zu machen. Es mußte aber noch etwas anderes dahinterstecken: das Er- 
wachen der alten Triebe in den Weißen, die endlich Befriedigung finden 
konnten. Der weiße Pionier, der in seiner Hütte Skalpe aufhängte, war 
zweifellos von einem gesteigerten Machtgefühl erfüllt, ähnlich dem, das 
ein Rothäutiger empfinden mußte: denn darin beruht die magische Kraft, 
die die Trophäe dem einflößt, der sie erringt oder besitzt. 



Obgleich die vom Körper des Feindes stammende Kriegstrophäe seither 
offiziell aus dem Bilde des modernen Krieges zwischen zivilisierten 
Völkern verschwunden ist, so ist doch ein von dem Unbewußten der 
Menschen herrührender unverwüstlicher Überrest geblieben. Auf dem von 
uns erreichten Grade der Zivilisation flößen uns Verstümmelungen einen 
viel größeren Abscheu ein, als ein gewöhnlicher Mord. Wir hängen, köpfen 
richten ohne große Bedenken unsere Verurteilten durch den elektrischen 
Stuhl hin, doch unterwerfen wir sie keinen Verstümmelungen und Folter- 



ÜLcr die Synibollk der Kopitrophäen 3j 

quälen mehr. Jeder Eingriff, gleichviel, ob es sich um den Körper eines 
zu Tode Verurteilten und um einen gemeinnütiigen wissenschaftlichen 
Zweck handelt, flößt uns gewöhnlich Entsetzen ein. Bricht aber heute 
ein Krieg aus, so mutet dennoch sofort ein Volk dem anderen 
die grausamsten Verstümmelungen zu. 

Vereinzelte Fälle eines Rückfalles in den Zustand der Wildheit können 
sicher in jeder Armee vorkommen; doch diese Fälle dürften vereinzelt sein, 
sofern es sich um weiße Truppen handelt. Das Voraussetzen solcher Ver- 
stümmelungen muß wohl eine andere Grundlage als die der tatsächlichen 
Beobachtung haben: es ist zweifellos der Haß. Und hier müssen wir auch 
wahrscheinlich die Lösung unseres Problems suchen. Im Unbewußten der 
meisten Menschen erwachen in Kriegszeiten die durch die Zivilisation 
der Friedenszeit verdrängten Urtriebe. Und jeder Mann trägt noch den 
Wunsch in sich, den Feind, den Ersatz des Vaters, zu toten und zu kastrieren. 
Die dem Feinde gewöhnlich in so ausgiebiger Weise zugeschriebenen Ver- 
stümmelungen rühren ohne Zweifel von dem wohlbekannten Mechanismus 
der Projektion her, der ja auch die erschreckenden Gespenster und den 
Glauben an die Wiederkehr der Toten zum Zwecke des Angriffes und der 
Rache geschaffen hat. Man schreibt dem Feinde Taten zu, die man 
unbewußt, ohne es sich selbst einzugestehen, am liebsten an 
ihm verüben möchte. 

Besonders lehrreich in dieser Hinsicht ist das Gerücht, das vor dem 
Weltkrieg entstand, Der österreichisch-ungarische Konsul in Pfizrend, 
namens Prochaska, der von seinem Posten noch nicht zurückgekehrt war, 
sollte angeblich von den Serben lebend kastriert worden sein. Dieses 
Gerücht trug während einiger Tage dazu bei, eine Entrüstung und krie- 
gerische Begeisterung in Wien hervorzurufen, die jene vielleicht über- 
traf, welche vorher der Mord an Franz Ferdinand erweckt hatte, den das 
Volk rächen wollte, obzwar es ihn, als er noch am Leben war, gehaßt 
hatte. Als aber Herr Prochaska endlich gesund und wohlbehalten aus 
Pfiirend zurückkam, fiel es niemand ein, das Gerücht zu widerrufen. 

Dieses Gerücht entsprach nämlich einem von den Österreichern pro- 
jizierten tiefen und unbewußten Wunsch, dessen Verwirklichung den 
Serben zugeschrieben wurde, wodurch es dem Österreicher selbst möglich 
wurde, Gefallen daran zu finden. Es muß bemerkt werden, daß gerade 
Kaiser Franz Josef zu dieser Zeit in Wien als Spitznamen den dort 
ziemlich häufigen tschechischen Namen „Prochaska" trug. Der den Serben 
zugeschriebene Gewaltsakt war eine tatsächliche Majestätsbeleidigung, die 



32 ünric Daiinpjirlf 



von dem Kaiser auf eine andere Person verschoben war, und zwar wurde 
auch die Ausführung einem anderen in die Schuhe geschoben: doppelte 
Verschiebung. Und während einerseits die Komponente „Liebe" des ambi- 
valenten Gefühles, das den Vätern, Häuptlingen, Königen entgegengebracht 
wird, aus Rache für das Verbrechen, zum Krieg mit dem durch die Pro- 
jektion verantwortlich gemachten Feind führen mußte, gefiel sich ander- 
seits die Haßkomponente an der unbewußten und latenten Kastrations- 
phantasie in bezug auf den Kaiser- Prochaska, die durch die bewußte und 
manifeste Legende der Kastration des Konsuls Prochaska realisiert werden 
sollte. 

Wenige Jahre später mußte Kaiser Karl seinerseits das Los erleiden, das 
das Unbewußte seines Volkes schon seinem Vorgänger vorbereitet hatte 
doch diesmal unter dem Einflüsse desselben Mechanismus der Verschie- 
bung von unten nach oben, vermöge der an Stelle der Phallustrophäen 
Kopftrophäen gelangen. Er verlor seine Krone, die jetzt endgültig von ihrem 
Träger getrennt und gleichsam als Trophäe des Volkes in der Schatzkammer 
der Hofburg verblieb. 

Es kann auch wahrscheinlich kein einfacher Zufall sein, daß erst die 
französische Revolution die Guillotine einführte und daß unter den Köpfen, 
die sie vom Rumpfe trennte, jener des Königs nicht fehlte. 



,.rj 



V 

Die Jagatropnäen 

Messire Robert de Salnove hat seinem Buche „La Vönerie Royale" 
(Königliches Weidwerk), erschienen in Paris 1665, folgende, König Lud- 
wig XIV. gewidmete Worte, voran geschickt: 

Au Roy - .- 

„Sire, .- 

La ckasse est un si noble exercice, quHl est presque le seul ou. les Princes 
s'adonnent, comme ä l'apprenttssaffe de la guerre, le plus illustre des arts, et 

le plus genereux des emplois, oü se trouvent les memes ruses et les mimes '[ 

fatigues; si hien que le ckasseur et le guerrier ont peu de difference. Les Roys j 

mesmes sont egalement jaloux des droicts et des ordres de la ckasse et de la , 

guerre: et comme il s'y rencontre de la peine et du plaisir, Hs en jitgent j 

ahsolument Vexercice royal. A qui pourrais-je donc plus justement offrir ce '. 

Uwe de chasse, qu'au plus grand Roy du monde ... : 

Die Jagd wird noch heute als ein edler Sport betrachtet, vor allem die 
Jagd auf Hochwild und in Frankreich besonders die Parforcejagd, die als 
ein seltenes und fast königliches Vermächtnis vergangener Zeiten, einigen 
reichen aristokratischen Familien, oder solchen, die die Aristokraten spielen 
wollen, vorbehalten ist. Es wird uns am besten gelingen, den Sinn der bei 
der Parforcejagd üblichen Zeremonielle zu erfassen, wenn wir uns an die 
Angaben aus der Zeit der „Venerie Royale halten. 

Nachdem Salnove die Eigenschaften, die die Hunde, die Piqueure haben 
müssen, beschrieben hat und auch die Art und Weise, in der der Hirsch 
angegriffen und verfolgt werden soll, fahrt er fort (S. 177): 

„Et le cerf etant prii, -vous en sonnez la mort ... et en suite la retraite, 
cependant que l'un des picqueurs en Uve le pied droit de devant avec un 

Bonaparte: Kopftrophäen. S 



couteau, en fendant la peau entre le gros nerf et l'os, la longueur de denty- 
pied qu'il coupera comme la peau de dessus, la levant jiisqu'au premier Joint 
du pied, et le dicernant, il l'enlevera, puis fendra le nerf et la peau environ 
trais doigts pour y passer la main, et aprh le prisentera au grand Verteur k 
ou en son absence au Commandant qui le donnera au Roy ..." ■ 

Später (S. 163) beschreibt Salnove das feierliche Ritual, das dem Aus- 
weiden {la curee) voranzugehen hat: 

^Les valeU de chiens le mettront (le cerf) sur le dos, soutenu de son bois - 
et si c'est dans le temps de la Cervaison, il faul qu'ils aient fait provision 
d'un crochet de bois pour y mettre et accrodter les mcnus droits qui appar- 
tiennent au Roy, et commencer par la coupe des bouis de la teste qui en sotu 
mols, et jusquesau dur fear le resie doit servir ä faire de l'eauj et mettre 
ces bouts de teste dans une serviette blanche; puis iis leveront les dintiers 
[Hoden], le bout du miifle, et les aureüles qu'ils mettront au crochet par une 
fente qu'ils auront faite a la peau . . ." 

„Apres ils prendront le pied droit dont ils couperont la peau alentour de ' 
la Jambe ..." ' 

„Ce qu'estant fait^ on lui doit laisser la nappe snus le cnrps pour lever la 1 
langue, et le reste des menus droits, coupant les quatre noeuds qui sont au deffaut 
des epaules et des cuisses qu'ih mettront parcillement au crochet . . . la frone 
hoyau, qui est encore des menus droits, qui se doit mettre au crochet, et pour le 
memhre du cerf, il doit Stre leve, dont les valets de chien doivent avoir soin 
de le laver, nettoyer et le mettre tremper vingtr quatre heures dans du fort vinaig-re 
et apres l'en tirer, pour le faire secher au four, ou au soleil, selon la saison; pour 
quand il sera sec, le remettre au maistre valet de chiens, qui le doit donner au 
Lieutenant, ou au Grand Veneur, s'il le veut, dont la vertu est de guerir le 
flux de sang. Cnmme Vos que Von dnil tirer du coeur du cerf . . ." 

„Et quam au bois du cerf il doit Hre parte au Roy." 

Wir sehen nun aus dieser alten Darstellung der Parforcejagd, daß dem 
Hirsch dieselben Haupttrophäen abgenommen werden, wie den be- 
siegten Feinden, wie wir es bei den Kriegstrophäen behandelt haben: 
der Phallus als homöopathisches Amulett gegen Blutungen, der rechte Fuß 
(als Pendajit der menschlichen Hand), und die Hörner, die gleichbedeutend 
sind den Kopftrophäen und dem Skalp, 

Es sind sozusagen immer dieselben Trophäen, denen wir am häufigsten 
als Jagdtrophäen begegnen: das Geweih des Hirsches, des Kehes, des Elen- 
tieres, des Büffels, je nach dem Lande; der „Fuß" des Hirsches, des Rehes, 
des Hasen. „Fuß" (pied), den man nicht, ohne sich die Verachtung des 
Jägers zuzuziehen, „Pfote" (patte) nennen durfte, und an Stelle des Phallus 
durch Verschiebung, der Schwanz (coda), z. B. des Fuchses in England. 
Dieser Ersatz des Phallus durch den Schwanz kann überdies bei unseren. 



Haustieren beobachtet werden : jenes Haustier, das zum Gegensatz seiner 
■Gefährten — Rind, Pferd, Lamm, sogar Kater — niemals kastriert wird, 
der Hund, muß vielfach diese Verschonung mit dem mehr oder weniger 
■vollkommenen Opfer seines Schwanzes, der symbolischen Kastration, be- 
zahlen. 

Doch kehren wir zur Parforcejagd zurück. In Frankreich, wo sie mit 
den Hundemeuten von den Franken eingeführt worden ist, würde es für den 
Jäger und sogar für den Hirsch als entehrend betrachtet, dieses edle Tier 
auf eine andere Art zu erlegen. Zu dem Tode des Hirsches gehört die 
Hundemeute, die Tracht der Kavaliere und der Amazonen, das Hornblasen 
der Piqueure und die wilde Verfolgung durch die Wälder. 

Die Jäger rationalisieren all das, indem sie von der Notwendigkeit des 
ästhetischen Aufwandes sprechen. Aber der unbewußte und tiefe Grund, 
der eine so barbarische Institution wie die Parforcejagd bis auf unsere Tage 
erhalten hat, ist anderswo zu suchen. Er reicht bis in die alten Zeiten 
zurück, in denen unsere Vorfahren noch das Totemtier angebetet haben. 
Wenn der Hirch ein so „edles" Tier ist, wenn seine Jagd mit der der 
Kaninchen, der Fasanen, der Rebhühner sich nicht vergleichen laßt, wenn die 
Verfolgung des Hirsches und seine Tötung in Frankreich nur durch kollek- 
tives Vorgehen erfolgen darf, so will das heißen, daß der Hirsch für das 
Unbewußte des Jägers, wenn auch in außerordentlich abgeschwächter Form, 
eine Art von Totem geblieben ist, und daß seine Tötung irgendwie noch 
jenem zeitweiligen Opferritual entspricht, unter dessen Beachtung die Pri- 
mitiven das für gewöhnlich verehrte und behütete Totemtier gemeinsam 
töteten und verzehrten. 

Die grausamen Gebräuche bei der Ausweidung erinnern tatsächlich 
an das Totemopfer, so wie es Robertson Smith in seiner genialen 
Arbeit „The Religion of the Semites" {erschienen 1889) beschrieben hat. 
Er berichtet über die Opferung eines Kamels durch Beduinen im vierten 
Jahrhundert nach Christo, bei welcher Gelegenheit das Tier in tausend 
Stücke gerissen und sofort verzehrt worden war. Gewiß ist der Hirsch 
beim Ausweiden bereits tot »md die Menschen sind durch die Hunde er- 
setzt. Aber der Hase zum Beispiel wird, wenn auf dieses kleine Tier eine 
Treibjagd veranstaltet wird, den Hunden sogar lebend ausgeliefert und wenn 
die Menschen von heute sich auch nicht auf den noch rauchenden Hirsch 
stürzen, so teilen sie sich doch mit ihren Hunden in seiner Verfolgung, 
und es ist eine zur Hälfte aus Hunden und zur Hälfte aus Menschen 
bestehende Meute, die den Hirsch in den grausamen Tod treibt. 

5* 



3(i Marie lioiiüparli: 



Wie bei dem totemistischen Opfer und dem darauffolgenden Mahle, 
ist die Verantwortung für den Tod des Hirsches kollektiv und soll 
es auch bleiben. Daher kommt es auch, daß der französische Parforcejäger 
das Pirschen, die individuelle Jagd auf das edle Tier, so wie sie in Ungarn, 
Rußland, Polen oder Österreich üblich ist, in hohem Maße mißbilligt. 

Von der unbewußten Erlaubnis, den „geheiligten" Hirsch in indi- 
vidueller Jagd zu töten, ist heute nur mehr in der Parforcejad der Dolch- 
stich übrig geblieben, der dem Jagdherrn vorbehalten ist, wenn der Hirsch 
schon bezwungen ist. 

Wollen wir aber den archaischen Gedanken, der hinter den Jagd- 
gebräuchen steckt, in seiner Nacktheit näher betrachten, so müssen wir 
uns eher an die Länder Mitteleuropas halten, wo nicht die Parforcejagd, 
sondern das Pirschen, die individuelle Jagd, in Ehren steht. 

Die Hirschjagd wird in Mitteleuropa, ganz im Gegenteil zu dem Gebrauch 
in den Ländern der Parforcejagd, zur Brunstzeit, wenn der Hirsch den 
Wald mit seinem Röhren erfüllt, eröffnet. 

Während des Tages bleiben die Tiere im Wald, doch beim Einbruch 
der Dämmerimg kommen sie heraus, um an dem Waldesrande bis zum 
Morgengrauen zu äsen. Der Jagdherr kann sich daher nur in der Prüh 
oder am Abend auf den Anstand begeben, von wo aus er den Hirsch töten 
kann. 

In Österreich geht es bei der Hirschjagd folgendermaßen zu: Ein 
Berufsjäger oder ein Angestellter des Jagdherrn, der „Jäger", kundschaftet 
die Stellen aus, die von den Hirschen aufgesucht werden, führt den Jagdherrn 
jeden Abend bei Einbruch der Dämmerung und jeden Morgen vor Tages- 
anbruch auf einen geeigneten Anstand. Der Weidmann scheint wahrend 
der Dauer der Jagd in seinem Eifer fast ganz auf den Schlaf verzichten 
zu können. 

Seit Morgengrauen in der Kälte auf dem Anstand, traut sich nunmehr 
der Jagdherr weder zu sprechen, noch sich zu bewegen. Aus der dunklen 
Masse des Waldes dringt von Zeit zu Zeit das Röhren des Hirsches zu ihm, 
das tatsächlich einem königlichen Gebrüll ähnlich ist und das Herz des War- 
tenden schneller klopfen macht. Doch nach und nach wird mit dem Heran- 1 
nahen des Tages die Masse des Waldes immer heller, der Rand hebt sich ' 
deutlicher ab und an dem Rand der kleine fahlrote Fleck ist der Hirsch. 
Groß und königlich schreitet er herum, laut rufend den Hindinnen oder 
seinen Rivalen. Erst wenn der Feldstecher mindestens acht Sprossen auf 



J 



über (Jie SymlioIjK dur Kopltropliäeii 3^ 

dem Kopfe des Hirsches gezeigt hat, legt der Jagdherr an und, wenn er 
geschickt ist, stürzt der Hirsch zu Boden. 

In seltenen Fallen stößt einem auch das Glück zu, Zeuge eines Hirsch- 
kampfes oder einer Paarung zu sein. Dieser Anblick feuert den Weidmann 
nur noch mehr an, da er auf diese Weise mcLnchmal den Hirsch ver- 
schlungen mit seiner Hindin oder mit seinem Feinde töten kann. 

Ist der Hirch gefallen, eilen Herr und Begleiter hin und nehmen in 
Augenschein, wo und wie das Blei eingedrungen ist. Hat der Schuß den 
Hirsch nicht getötet, wird ihm das Messer ins Genick gestoßen. Dann 
entfernt sich der „Jäger" und holt dem Herrn einen kleinen Tannenzweig 
mit drei Nebenzweigen. Dies ist der Anfang des Zeremoniells. Er taucht 
ihn in das Blut des Tieres und überreicht ihn dem Herrn, der getötet 
hat und dieser muß ihn an den Hut stecken, denn der Tannenzweig mit 
drei Nebenzweigen ist das Zeichen, das den Weidmann, bei der Bückkehr 
ins Dorf und ins Schloß, als Triumphator erkennen läßt. 

Dann beginnt die Bearbeitung des Tieres. Entweder der Herr selbst 
oder sein Jäger legt das Tier auf den Bücken und schneidet ihm erst die 
Hoden und dann das Glied ab. Dann wird das Tier vom Hodenansatz bis 
zum Brustbein aufgeschlitzt. Wenn die Lunge und das Herz richtig durch- 
schossen sind, quillt das Blut mit den Eingeweiden hervor. Ein richtiger 
Blustrom, dessen Anblick das Auge des Weidmanns erfreut, und sei er 
auch der sanfteste Mensch im gewöhnlichen Leben. 

Nachzutragen ist noch, daß die zwei Oberzähne — die Krandeln — 
gleich am Anfang vom Kiefer des Hirsches abgelöst werden und (an Stelle 
des Fußes) entweder vom Jagdherrn selbst als Trophäe behalten, oder, wenn 
eine Dame mit ist, ihr angeboten werden. Was das Geweih anbetrifft, so 
könnte nichts den Schützen dazu bringen, darauf zu verzichten, denn, wie 
schon der alte Salnove gesagt hat, des Hirsches Geweih ist des Königs 
Teil. 

Es kommt vor, daß der Hirsch auf Männer, die die besten Schützen 
sind, sofern es sich um Kaninchen, Rebhühner handelt, einen solchen Ein- 
druck macht, daß sie ihn fast immer verfehlen. In diesem Falle sagt man, 
daß sie vom „Jagdfieber" befallen seien. 

Andere wieder werden vom Erscheinen des Hirsches derart angeregt, 
daß sich ihre Kraft, ihre Fähigkeiten verdoppeln; Leute, die in der Stadt 
kaum eine Stunde gehen können, marschieren im Gebirge acht bis zehn 
Stunden und ihr Blick wird, wenn es sich darum handelt den Hirsch 
zu sichten, fast unfehlbar. Das Gemeinsame dieser beiden Jägertypen ist 



38 Marie Boiinpai-tc 



ein überreizter Gemütszustand, der sich bei dem einen als Angst und bei 
dem anderen als Begeisterung äußert. 



Wir können diese verschiedenen psychologischen Phänomene, dessen 
Wesentlichstes die Rückkehr im Alltag sanfter Kulturmenschen zu einer 
barbarischen Brutalität ist, nicht erklären, wenn wir nicht daran denken 
daß keine einzige Phase, die die Menschheit im Laufe der Zeiten durch- 
gemacht hat, in unserem Innern wirklich ausgelöscht ist. 

Es ist nicht allein, wie der Jäger behauptet, um die Regungen seines 
Instinktes zu rationalisieren, der Duft des Morgens und des Abends im 
Walde, nicht allein der Strahlenglanz der untergehenden und aufgehenden 
Sonne auf dem herbstlichgelben Laube, nicht allein das Gefühl des freien 
Umherstreifens im Gebirge und in den Wäldern und nicht allein das 
Vergnügen gut zu zielen, das das große Vergnügen am Jagen ausmacht. 
Es ist vor allem — so sehr der Zivilisierte sich auch dagegen sträuben mag — 
die Lust am Töten, die — wenn man nicht gerade Henker ist — in 
Friedenszeiten auf das Gebiet der Jagd beschränkt ist. 

Diese Lust am Töten wurde von zahlreichen Denkern als wesentlichster 
Beweggrund der .Tagd hervorgehoben. Denn durch den Nahrungstrieb kann 
es nicht mehr gerechtfertigt werden; die Zeit, in der die Jagd eine Not- 
wendigkeit war, ist vorüber, haben wir doch Fleischhauer, Geflügel- und 
Wildbrethändler und Schlachthäuser. Doch ein Moment, worüber uns die 
verschiedenen vorpsychoanalytischen Autoren keinen Aufschluß gegeben 
haben, ist das der verschiedenen Wertung der verschiedenen Wildarten als 
„edel . Man hat zur Erklärung dieses Unterschiedes bisher nur einen ob- 
jektiven Unterschied herangezogen, und zwar den des Körperumfangs. 

Der Körperumfang des Wildes kann wohl in Betracht gezogen werden, aber 
nur im Zusammenhange mit dem Moment, das uns jetzt beschäftigen wird. 

Wie wir schon weiter oben erwähnt haben, hat uns Freud in „Totem 
und Tabu" gezeigt, wie die Söhne des Urvaters der Horde, nach dem Ur- 
morde, unter dem Drucke des Schuldgefühls den Totemismus eingeführt 
hatten, die primitive Form der Religionen, in der ein Tier als Vaterersatz 
die retrospektive Achtung genießt, die die reumütigen Söhne dem Vater 
schulden. Noch vor den Totemkiilten hat die Haßkomponente des dem 
Vater entgegengebrachten ambivalenten Gefühls — zweifellos unter dem 
Einfluß der Brunst der Söhne, denen es nach den Weibern gelüstete, deren 
alleinigen Besitz der eifersüchtige Vater bewahren wollte — einmal die Ober? 



hand gewonnen und zu dem Morde des Vaters geführt, dem das gemein- 
schaftliche Mahl, das Verspeisen seines Körpers gefolgt war. Daher kommt 
es, daß in den späteren Totenikulten diese Haßkomponente, obwohl durch 
die nachträgliche Zärtlich keitskomponente verdrängt, von neuem zum Vor- 
schein kommt und sich wieder zeitweise durch den Gehrauch des kollek- 
tiven Totemopfers befriedigt. 

Doch nach dem Urmorde des Vaters, der durch die Verschwörung der 
Hordenbrüder zustande gekommen ist, wollte jeder von ihnen selbst Vater 
werden; der Neid, den seine Stellung als allmächtiger, über alle Weiber 
alleinherrschender Mann hervorrief, hatte seine Söhne zu dem Morde ge- 
trieben. Aber es sind der Söhne zu viel; dem Ehrgeiz jedes Einzelnen 
stellt sich der Ehrgeiz aller übrigen entgegen und der Ürmord bedeutet 
für jeden von ihnen einen sehr unvollkommenen realen Triumph. 

Wir haben gesehen, daß die totemistische Assimilation des Vaters 
an die mächtigen, gehörnten Tiere in fast jeder Religion weiterlebt; 
die Götter, die Könige und die Priester sind gehörnt. So ist auch Moses 
gehörnt dargestellt, und zwar nicht wegen eines unverstandenen Textes, 
wie behauptet wurde, sondern, wie uns Reik in seiner fesselnden Arbeit 
„Probleme der Religionspsychologie", Das Schofar, S. 257 ff.^ {Wien 1919) 
gezeigt hat, weil die HÖrner des Stieres, des totemistischen Urtieres der 
Hebräer, in Moses weitergelebt haben. Bei den alten Priestern war es 
Brauch, sich, wie die Wilden bei den Totemfesteu, mit den abgezogenen 
Fellen oder den Insignien ihrer tiergestalteten Götter zu bekleiden. 

Wenn auch der Totemismus in seiner reinen Form nur mehr bei uns 
in den Tierphobien unserer Kinder erhalten geblieben ist, so sind doch in 
unserem Unbewußten, dem Unbewußten Erwachsener, Spuren geblieben, 
deren deutlichste vielleicht in manchen unserer Jagdgebräuche zu finden sind. 

Die Parforcejagd verdankt zweifellos ihre Entstehung der im Un- 
bewußten aufbewahrten Erinnerung an den durch die Urhorde 
verübten Vatermord und an das kollektive Totemopfer, das das von 
ihnen verdammte und gleichzeitig herbeigesehnte Verbrechen periodisch 
erneuerte, und hat sich mit allen ihren Gebräuchen aus diesem Grunde 
bis heute erhalten. 

Doch der tiefe, unterdrückte Wunsch, der ursprünglich in dem Herzen 
aller Brüder wohnte und sie antrieb, feindliche Brüder zu werden, der 



1) Die zweite Auflage dieses vergriffenen Werkes befindet sich — unter dem Titel 
,Das Ritual" — in der Presse. 



^O Alaric Boiiapiirtc 



Wunsch, der einzige Erbe des Vaters zu werden, der mit dem Bedauern 
gepaart war, nicht alleiniger Mörder gewesen zu sein, woraus dann das 
Recht entstanden wäre, sein einziger Nachfolger zu sein, dieser archaische 
Wunsch, der, wie uns Rank gezeigt hat, die Grundlage vieler Mythen 
über die „Helden, die allein die Schuld und den Ruhm auf sich nehmen" » 
gebildet hatte, ist in der Hirschjagd, im „Pirschen", wie es in Mittel- 
europa üblich ist, wieder zum Ausdruck gekommen. Daher das Gefühl des 
Freudentaumels, des unvergleichlichen Triumphs, das den Jäger erfüllt 
wenn er mit dem kleinen dreiteiligen Tannenzweige am Hute — der 
mit dem Rlute des Hirsches zuerst benetzt wurde, was eine Identiiizierune 
des „Mörders" mit dem „Totem" darstellt — von den Bergen zurückkehrt 
Der Hirsch wirkt durch seine Schönheit tatsächlich imposant. Wegen 
seines Geweihs wird er oft König des Waldes genannt. Hat er mehr als 
zwei Zacken auf einer Sprosse seines Geweihes, so wird es Krone genannt 
(Grimm). Er wird daher leicht eine Vaterimago für das Ünbewui3te der 

Menschen, das noch von totemistischen Reminiszenzen imprägniert ist, 

geht doch kein Erwerb der phylogenetischen Entwicklung verloren. Außer- 
dem entsprechen die Sitten dieses Tieres vollkommen den vorher be- 
schriebenen Sitten, die vom Unbewußten des Jägers herbeigesehnt werden. 
Der alte Hirsch, dessen Geweih während der Brunstzeit so sehr begehrt 
wird, regiert tatsächlich wie der Urvater der Urhorde über eine kleine 
Horde von Weibchen, die er eifersüchtig behütet und die ihm die jüngeren 
Hirsche neiden. Diese verbünden sich nicht, um ihn aus dem Besitz zu 
vertreiben, vielleicht ist dazu die Erinnerung, gemeinsam aufgewachsen 
zu sein, nötig, die die jungen Hirsche, mangels dieses Brauches, nicht 
haben. Doch fordern die jungen Hirsche den alten einzeln zum Kampfe 
heraus und trotz seiner überlegenen Kraft wird dieser manchmal, erschöpft 
durch die Brunft, überwältigt. Dasselbe macht der Jäger; er tötet den 
alten väterlichen Hirsch und es bereitet ihm Vergnügen, zu erzählen, wie 
die Weibchen, denen die Treue glücklicherweise unbekannt ist, sich einen 
Augenblick später dem jungen Männchen hingeben, das in der Nähe 
mit Begehren auf sie wartet. Der Jäger identifiziert sich unbewußt 
auch mit dem jungen Männchen und kann so, auf eine un verpönte 
weidmännische Art, den infantilen Triumph über den Vater feiern, einen 
Triumph, von dem er früher geträumt hatte und den unsere Sitten schon 
seit langem nicht mehr zulassen. 

i) Vgl. Der Mythos von der Geburt des Helden. Deuticke, Leipiig-Wien igaa. 



I 



Üter Jic Symbolilt der Kopftroptäcn 4* 



Alle Vorstellungen, die sich auf das Studium der Mythen gründen, be- 
stätigen diese Anschauung. Mithra, dieser Gott-Sohn, der eine Zeitlang 
dem Christentum — auch eine Religion des Sohnes — die Weltherrschaft 
strittig gemacht hat, ist auch durch den Mord an dem Stier, dem mächtigen, 
gehörnten, väterlichen Toteratier, dessen Gestalt Zeus so oft angenommen 
hatte, ein heiliger Held geworden. Die spanischen Stierkämpfe mit der 
frenetischen Bewunderung, die der Matador hervoi-ruft, sind wie ein ent- 
ferntes, abgeschwächtes Echo derselben unbewußten totemistischen Auffassung. 

Anderseits wird der Sohn-Jäger oft wegen seines frevlerischen Unter- 
nehmens gegen das väterliche Totemtier bestraft. So wird Adonis, der 
Liebling Aphrodites, der großen mütterlichen Gottheit, durch einen Eber 
getötet. Demselben Tier verdankt er, nach Servius, seine Geburt, denn es 
hat mit seinen Stoßzähnen den mütterlichen Baum — den Myrrhenbaum 
geöffnet, in den Myrrha, seine Mutter, verwandelt worden war und in dem 
er, Adonis, seine Geburt erwartete. Der Mythus nach Servius verrät die 
primitive Identität, er schwankt zwischen zwei Versionen: einmal ist es^ 
der Vater des Adonis mit seinem Schwert, ein andermal der Eber mit 
seinen Stoßzähnen, der den Baum aufgeschlitzt hat.^ Obschon aber Adonis 
durch den väterlichen Eber zur Strafe für den mütterlichen Inzest getötet 
wurde, kehrt er triumphierend vrieder ins Leben zurück, wie es in jeder 
Religion der Fall ist, in der der Sohn zum Gotte erhoben worden ist. 

Der heilige Hubertus, der 727 als Bischof von Lüttich gestorben ist, 
ist ein gutes Beispiel für den reuigen Sohn, der heilig gesprochen wurde, 
weil er auf den symbolischen totemistischen Urmord verzichtet 
hat. Ein leidenschaftlicher Jäger, verzichtete er an einem Karfreitag auf 
die Jagd. Es erschien ihm beim Jagen ein göttlicher Hirsch, der zwischen 
seinem Geweih ein glänzendes Kreuz trug. Durch die Wiederkehr des Ver- 
drängten in dem Verdrängenden, ein Vorgang, der jedem der mit dem 
Mechanismus der Zwangsneurosen vertraut ist, bekannt ist, wurde Sankt 
Hubertus, der wegen seines Jagdverzichtes heilig gesprochen wurde, gerade 
Schutzpatron der Jäger. 



1) Vgl. Roschers mytliologisches Lexikon, Artikel Adonis. 



l 



VI 

JDie ironisoien Hörner ^ 

Es ist nun endlich an der Zeit, zu dem anfangs dieser Arbeit gestellten 
Problem zurückzukehren. Warum verleiht der Volksspott dem betrogenen 
Ehemann Hörner? Wir haben gesehen, daß das Hörn, in der Natur wie auch 
in der Symbolik der Menschen, ein Merkmal der männlichen Kraft ist- 
es ist das Merkmal der stärksten Tiere, wie auch der mächtigsten Götter' 
Losgelöst von dem mächtigen Wesen, das die HÖmer trug, sind sie für den! 
der sich ihrer bemächtigt hat, wirksame Amulette gegen bÖse Schicksals-, 
schlage und gleichzeitig auch die großartigen Jagdtrophaen, auf die sogar 
die Jäger von heute noch stolz sind. 

Aber daraus sehen wir noch immer nicht, warum der hintergangene 
Ehemann in seiner Schwäche durch die Volksironie mit dem imposanten 
Merkmal der Männlichkeit ausgestattet wird. 

Göza Röheim, der durch seine mit Material so reichlich dokumentierten 
psychoanalytischen Arbeiten über primitive Volker bekannte ungarische Ethno- 
loge, schreibt mir : „Leider kann ich Ihnen mit keiner Aufklärung bezüglich der 
Symbolik des betragenen Ehemannes bei den Primitiven dienen. Es ist mög- 
lich, daß ich die einschlägigen Angaben übersehen habe, aber viel wahrschein- 
licher, daß eine solche Symbolik bei den Primitiven überhaupt nicht existiert." 
Röheim teilt mir ferner mit, daß Frazer' über den Glauben schreibt, den 
manche primitive Stämme haben, wonach die Untreue seiner zu Hause 
gebliebenen Frau dem Ehemann auf der Jagd Unglück bringt 

„Die Elefanten) äger in Ostafrika, schreibt Frazer, glauben, daß die Untreue 
ihrer Frauen während ihrer Abwesenheit, den Elefanten einen Einfluß über 

i) The Golden Bougli, The Magic Art, igii, Bd. I, S. 123. 



Ulicr die Syniliolils der Kopftrojiliüeii ^3 

den Jäger verleiht, wodurch dieser entweder getötet oder schwer verletzt vm-d. 
Wenn infolgedessen ein Jäger hört, daß seine Frau sich schlecht aufgeführt 
habe, gibt er die Jagd auf und zieht nach Hause. Sieht ein Wagogo-Jäger 
seine Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt oder aber wird er von einem 
Löwen angegriffen, so schreibt er es dem sclilechten Benehmen seiner zu 
Hause gebliebenen Frau zu und kehrt, von großer Wut erfaßt, dahin zurück. 
Während er auf der Jagd ist, darf sie niemand hinter ihrem Rücken vorbei- 
gehen oder vor ihr stehen lassen, während sie sitzt; und im Bette muß sie auf 
dem Bauche liegen. Die Moxos-Indianer von Ostbolivia glaubten, daß, wenn die 
Frau eines Jägers ihm während seiner Abwesenheit untreu wurde, er von 
einer Schlange oder einem Jaguar gebissen werden würde. Wenn ihm also 
ein derartiger Unfall widerfuhr, so war der Frau eine Züchtigung, oft sogar 
der Tod sicher, gleichviel ob sie schuldig oder unschuldig war. Der aleutische 
Seehundjäger glaubt, daß es ihm unmögHch sei, auch nur ein einziges Tier 
zu erlegen, wenn ihm seine Frau in seiner Abwesenheit die Ehe gebrochen 
oder seine Schwester sich unzüchtig aufgeführt habe. 

Wie aus diesen und folgendem Beispiel ersichtlich, spotten die Primi- 
tiven nicht angesichts des Ehebruches der Frau, obgleich bei ihnen viel- 
fach der Brauch einer gewissen (oft rituellen) sexuellen Gemeinschaft besteht. 

Der betrogene Zulumann zum Beispiel, der, den Aussagen verschiedener 
Missionäre zufolge, seine Krau und ihren Geliebten mit Honig bestrichen den 
Bissen der afrikanischen Ameisen aussetzt und sie langsam vor den Augen 
des ganzen Stammes von jenen verzehren läßt, kann nicht leicht in der 
Vorstellung des Volkes Gegenstand des Gespöttes werden. 

Vielleicht werden wir gerade mit Hilfe solcher Beispiele das Problem, 
das uns beschäftigt, losen können. Es scheint, daß die erste Bedingung für 
die Symbolik des betrogenen Ehemannes tatsächlich die ist, daß bei dem 
Ehebruch kein Blut mehr vergossen wird. 

Diese Bedingung ist sogar heute noch notwendig. Der betrogene Ehe- 
mann, der bei uns in „archaischer" Weise reagiert, d. h. tötet, ist tatsäch- 
lich nicht mehr komisch. Er wird nicht mehr als Hahnrei, als Ge- 
hörnter betrachtet. Die Geschwornen sprechen ihn in vielen Ländern frei, 
ihr archaisches Unbewußte billigt sein Vorgehen und verehrt in ihm eine 
der ältesten und natürlichsten instinktiven Reaktionen. 

Der Ehemann, von dem Geliebten seiner Frau getötet, ist auch nicht 
komisch. Der Anblick des Blutes verdrängt überall die Möglichkeit des 
Komischen. Und das ist sogar die Bedingung der Komödie, daß in ihr, zum 
Gegensatze der Tragödie, kein Blut fließt; ihr Hauptmotiv ist gewöhnlich 
der „Vater", einer aus der alten Generation, z.B. Orgon, Bartolo, Har- 
pagon, der dann zugunsten der Jungen ins Lächerliche gezogen wird. 



44 Alane Buiiapart^ 



Der lächerlich gemachte „Vater" ist das Hauptmotiv desKomischen- 
iind dies ist eigentlich der Weg, den wir verfolgen müssen. Der betrogene 
Ehemann, dem die Hörner, das Merkmal der vollkommenen männlichen 
Kraft, verliehen werden, ist für das Unbewußte ohne Zweifel immer ein 
„Vaterersatz". , 

Das Motiv des betrogenen Ehemannes führt uns in die Tiefen der in- 
fantilen Geschichte jedes Mannes. Es gab tatsächlich eine Zeit, die Periode 
des Ödipuskomplexes des kleinen Knaben, in der er den ältesten eroti- 
schen Wunsch seines Lebens, den Wunsch, die Mutter zu besitzen, unter 
dem Einflüsse der Kastrationsdrohung — und zwar der Kastration durch den 
Vater — untergehen sieht. Das ist der klassische Mechanismus, durch welchen 
die große infantile Periode des Ödipuskomplexes, um das fünfte Lebensjahr 
herum, ihr Ende findet.' Betrogen um seinen großen Wunsch, den er auf- 
geben muß, um sich den Penis, das kostbare, bedrohte Organ zu sichern 
wünscht der kleine Knabe sich nun als Rache, als Vergeltung — gleich einem' 
jungen Zeus — die Kastration des alten Kronos. Diese alten, tiefen Regungen 
der Kinderseele, die im Unbewußten niemals ganz verschwunden waren 
sind es, die heim Anblick des betrogenen Ehemannes in uns erwachen. 

Der von der Frau und dem Geliebten betrogene Ehemann wird tat- 
sächlich von dem Zuschauer, der ihn sieht und den andern zeigt, dem Vater 
der Kinderzeit gleichgestelh. Der infantile Wunsch wird hier nun endlich 
verwirklicht, der Zuschauer identifiziert sich mit dem Liebhaber xxni 
identifiziert die treulose Frau mit der Mutter. Die treulose Frau 
macht das, was er, als kleiner Knabe, von der Mutter gewünscht hatte 
daher kommt die große Befriedigung, die der Anblick eines betrogenen 
Ehemannes gewöhnlich jedem männlichen Zuschauer bereitet. 

Die Menschen haben aber im Laufe ihrer phylogenetischen Entwicklune 
viele Phasen durchlaufen, die alle in ihrem Unbewußten Spuren zurück- 
gelassen haben. Von der Phase des Jagens ist ihnen gegenüber den 
wilden Tieren, die gleichzeitig ihre gefürchteten und verehrten Feinde 
sind, — wie der Vater, — eine Art von „Sohneinstellung" geblieben, und 
diesem Umstand verdanken diese es auch, daß nach dem Urmorde des 
Vaters eines oder das andere von ihnen zum Vaterersatz, zum Totem erhoben 
wurde. Der Totemismus lebt in jedem von uns weiter, in den Tierphobien 
der Kinder in seiner reinen, ursprünglichen, in unseren Jagd gebrauchen in 



i) Vgl, Freud: Der Untergangs des Ödipuskomplexes. (Ges. Schriften, Bd. V.) 



über Jic Synitolik der KopflrophSeii 4^ 



abgeschwächter Form. Und das macht es dem Zuschauer dieses Schauspiels 
möglich, in dem betrogenen Ehemann auf dem Wege der Übertragung den 
Vater seiner Kindheit zu sehen und ihn mit dem Geweih des großen 
Hirsches der Wälder auszustatten. 

Die Phase des Hirtentums, die nach der Jagdphase gekommen ist. 
hat auch ihre Spuren im Unbewußten der Menschen zurückgelassen. Das Rind 
wurde also, durch die Kastration der männlichen Tiere, dem Joche der 
Menschen unterworfen. Diese unverstandene Anspielung auf die reale 
Kastration ist es, die manche, wie z. B. Schrader, auf die Idee gebracht 
hat, die Symbolik des betrogenen Ehemannes auf das Rind zurückzuführen. 
Diese Symbolik gehört trotzdem in erster Linie der Phase des Jagens an, 
welcher die Sitte der Kopftrophäen eigen ist. 

Wie wir jedoch schon früher gesehen haben, liegt die Hauptbedingung 
für das Komische der Symbolik des betrogenen Ehemannes darin, daß die 
Menschen in ein Stadium der Zivilisation geraten sind, in dem gelegent- 
lich der Ehebrüche kein Blut mehr vergossen wird. Um der Ironie 
freien Lauf zu lassen, muß sich das ganze Drama sprachlich abspielen. 

Betrachten wir uns einmal die Dinge näher. Wem erscheint der betrogene 
Ehemann komisch? In seinen eigenen Augen ist er es nicht, das ist klar. 
In den Augen seiner Frau und auch in denen des Liebhabers nicht 
immer, da ja beide in dem Stücke mitspielen und nicht viele Muße zum Zu- 
schauen haben. Vor allem ist das Stück für die Zuschauer, die darin über- 
haupt keine Rolle spielen, komisch. Zum „Publikum" gehören zumindest 
zwei Zuschauer. Betrachten wir einmal die beiden Zuschauer — natürlich 
können es auch mehrere sein. Einer von ihnen, indem er den betrogenen 
Ehemann des Dreiecks und die Frau und den Liebhaber entdeckt, identifiziert 
«ch gleichzeitig mit letzterem. Der Zuschauer aber, vor dem sich dieses 
Stück abspielt, wäre nicht wirklich befriedigt, wenn er allein wäre, wenn 
er nicht jemand hätte, der ihn, in seinem phantasierten Triumph, den er 
über dem Vater im Wege seiner Identifikation mit dem Geliebten feiert, 

bewundert. 

Er lenkt daher die Aufmerksamkeit eines anderen auf den Anblick und, 
um diesen anderen zu der Kastration des Vaters anzuspornen, — ein soziales 
Phänomen, an die Verschwörung der Brüder gegen den Urvater erinnernd, — 
schreibt er ihm, dem Vater, das grandioseste, das auffallendste männliche 
Merkmal zu, und zwar die Hörner des großen Hirsches der Wälder. 



I 



4(> Marie B 



aric Dona 



parte 



Den betrogenen Ehemann, in dem Augenblick, in dem er machtlos 
kastriert erscheint, mit der männlichsten der Zierden auszustatten, ist wohl 
eine „Darstellung durch das Gegenteil". 

Die Darstellung durch das Gegenteil ist der wesentlichste Mechanismus 
der Ironie,' dieser sozialen Erscheinung, vermöge der man in einem Ge- 
spräch gerade demjenigen gewisse außerordentliche Qualitäten zuschreibt, 
die er gerade am wenigsten hat, wodurch der Zuhörer oder die Zuhörer 
angeregt werden, jenem im Gedanken wieder das fortzunehmen, was 
man ihm eben mit Worten erteilt hat. Von einem ungewöhnlich 
häßlichen Mann wird zum Beispiel gesagt, wie schön er doch sei, damit 
der Zuhörer ihm gerade diese Eigenschaft wegnehmen kann. 

Es gibt auch noch eine andere Symbolik und eine andere Ausdrucks- 
form, in der die Darstellung durch das Gegenteil Üblich ist. Der Schleier 
ist das Symbol der Jungfräulichkeit und die Braute treten verschleiert vor 
den Altar. Indessen war der Schleier, wie auch Storfer erwähnt,^' im 
Mittelalter das Kennzeichen der Prostituierten. Und man bezeichnet im 
Deutschen mit dem Ausdruck „Dirne" und im Französischen mit ^/fc" 
gerade die Prostituierten, sowie in Hamburg die von Prostituierten be- 
wohnte Straße Jungfernsteig heißt. 

Darin liegt ein Stück Volksironie. Man schreibt der Prostituierten nur 
deshalb die Jungfräulichkeit zu, um den Zuhörer, mit dem man spricht, 
zu veranlassen, ihr diese in Gedanken gleich wieder wegzunehmen. Es ist 
eine Art von „verbaler Defloration". 

Die Darstellung durch das Gegenteil hat auch den Vergleich zwischen 
dem betrogenen Ehemann und dem Kuckuck geschaifen. Dieser Vogel ist 
nach Littr^3 und Swainson* zuerst als außerordentlich männlich be- 
zeichnet worden; es wurde von ihm gesagt, daß er die Weibchen anderer 
Vögel befruchte, später aber wurde ihm die Rolle des betrogenen Ehe- ' 
mannes zugeteih, in derselben Weise wie im Deutschen der Hahnrei aus 
dem Hahn entstanden ist. 

Dieser Mechanismus der Ironie, die Darstellung durch das Gegenteil, eignet 
sich ganz besonders zur Vorstellung der Kastration: Ein Zuschauer zeigt 
dem Publikum den großen Phallus des Vaters, um den anderen oder 
die anderen anzuspornen, jenem den Phallus wegzunehmen. 

Freud: Ges. Schriften, Bd. IX, S. 7, 8. 

2) Storfer: Marias jungfräuliche Mutterschaft, S, 54, 

5) Artikel Cocu (gehörnt). 

4) The Folk Lore and Provincial Names of British Birds. S. 121. London 1886^ 



Aber dei- mächlige Affekt, der der „tragischen Seite" des Vergleiches 
zwischen dem betrogenen Ehemann und dem Hochwild des Waldes, dem 
Vaterersatz, anhaftet, hat heutzutage, da um eines Ehebruches kein Blut 
mehr vergossen wird, nicht mehr die Möglichkeit, abreagiert zu werden. 
Es ist nur mehr eine „verbale Kastration . Und in der Vorstellung des 
Volkes, in seinem Vorbewußtsein, vollzieht sich der Vergleich zwischen 
den verschwundenen großen blutigen Gesten, die in den primitiven Kul- 
turen mit der Rache für den Ehebruch einhergingen, und der heute 
gegebenen Blindheit und Schwäche des zivilisierten Ehemannes — und da 
der mächtige und grausame Affekt, der jenen Vorstellungen anhaftet, sich 
den kleinen nicht mehr anpassen kann, macht er sich durch Lachen Luft. 
Der Unterschied zwischen den beiden Vorstellungen ist wirklich ein un- 
geheurer, und ■ dieser Umstand erklärt zweifellos, warum das Motiv des 
betrogenen Ehemannes im Bereiche der Komik, vielleicht auch als die 
Komik par excellence, erscheint. 

Das kollektive Lachen, in das die Männer bei dem Anblick des betrogenen 
Ehemannes ausbrechen, erinnert mehr an die Symbolik der Parforcejagd, 
als an die der individuellen Jagd, des Pirschens. Gewiß identifiziert sich 
jeder, der lacht, mit dem Liebhaber, und möchte am liebsten der Einzige 
sein, der aus dem Ehemann einen „Hahnrei" macht. Diese Art der Ironie 
bleibt jedoch ein kollektives Phänomen, und es dürfte vielleicht kein bloßer 
Zufall sein, daß Frankreich, das Land der Parforcejagd, auch das Land der 
Lustspiele ist, deren häufigstes Motiv der betrogene Ehemann ist. 

Da aber heute das Blut nicht mehr fließen und der primitive Sadismus * 

nicht mehr erkenntlich durchblicken darf, — da er unbedingt verurteilt 
würde, — verwandelt sich das alte Verlangen nach Blut in Lachlust. 

Es ist sicher, daß wenn das Motiv des betrogenen Ehemannes dem 
Publikum als das komischeste erscheint, es darum so ist, weil es im Grunde 
genommen zweifellos das tragischeste ist. 

Im Verlaufe dieser Arbeit haben wir gesehen, daß die tragischesten und 
archaischesten Motive, die im Unbewußten der Menschen wirksam sind, 
gerade die komischesten werden können, wenn sie in der Realität nicht 
mehr „ausgelebt" werden können und durch die notwendige Verwandlung 
des Affektes auf soziale Weise, mittels des Lachens, abreagiert werden. 

Doch welch langen Weg mußten die Menschen zurücklegen, bis sie hie- 
hergelangt sind! Das alte Sprichwort müßte folgendermaßen richtiggestellt 
werden: Vom Erhabenen zum Lächerlichen sind es Tausende und Tausende 
von Schritten. 



I . 



Innaltsversciclin i s 

Sette 

I) Die Redensart vom „gehörnten Ehemann* .... 5 

II) Die heroischen Hörner 8 

ni) Die magischen Hörner 15 

IV) Die KriegstTophäen 24, 

V) Die Jagdtrophäen 53 

VI) Die ironischen Homer 42 



INTERNATIONALER PSYCHOANALYTISCHER VERLAG 

WIEN, VU^ ANDRE.ASGASSE 3 




I) OTTO RANK, Der Künstler und andere Beiträge zur Psycho- 
analyse des diditerisdien Sdiaffens. 4- vermelirte Auflage. Geh. M. y—, 

Halbleinen M. S'JO, Halbleder M. II'JO 
Es gehört eine große Freiheit des Geistes und eine sehr schätihare Unhefangenheit daz«, 
das Se^eUc offen als den Anfang imd Ausgangspunkt dessen zu beieichnen, womit abgerechnet 
werden muß. Otto Rank hat den Vorwurf der zynischen Brutalität, der bei solchen Dingen 
niemandem erspart bleibt, nicht gescheut. (Münchner Äüg. Zntung) 

Auch unser Zeitalter hat seine Sophisten. Der in seiner verblüffenden Dialektik an Otto 
Weininger gemalmende Wiener Psychologe Otto Rank — ein Reineke Fuchs der Philosophie 
an staunenden Ränken - leitet in der Schrift „Der Künstler" überhaupt aUes menschliche Leben 
mit seinen Kulturbestrebungen, Religion, Wissenschaft, Philosophie, Poesie samt den anderen 
Künsten aus dem geschlechtlichen Urzustand und dessen allmählicher Entwicklung ab. 

(Der Bvnd) 

Das Studium dieser geistreichen Schrift kann sehr empfohlen werden. 

(Zeitschrift für Religiorupsychologie} 

n) N. OSSIPOW, Tolstois Kindheitserinnerungen. Ein Beitrag 
zu Freuds Libidotheorie. Geh. M. &-, Halbleinen M. fjO, Halbleder M. lO'— 

Die Arbeit hält sich nicht streng an die Freudsche Doktrin, sondern versucht, in der Richtung - 
Freudscher Gedankengänge 2u neuen grundsätzlichen Aufstellungen zu gelangen ._. . bj: fl 
beherrscht das Material und wirft stellenweise Schlaglichter von überraschender Wirkung 
auf Leben und Werk des seltsam gespaltenen Genies . . . Besonders die Abschnitte ufaer 
den NajziiBmus und die kindliche Amnesie sind wertvoE und anregend. 

(Zentralbau f. d. ges. Neurologie u. Psychiatrie) 

Die Schrift Ossipows ist eine voUständige Darstellung der Freudseben Entwicklungslehre von 
der Zeugimg ab am Beispiel Tolstois und findet als seinen Hauptcharakterzug den Narzißmus, 
d. h. die Liebe zu sich selbst als körperlich geistigem Wesen. (Soziaimische Monatshefte) 

111) THEODOR REIK, Der eigene und der fremde Gott. Zur 
Psydioanalyse der religiösen Entwiddung. Geh. M, S-jo, Halbleinai M. W-, 

Halbleder M. ly — 

Der tiefblickendste und scharfsinnigste Religionspsychologe unserer Zeit - . . 

'-'" (Schidrejornif Bern) 

Ein geistreiches Buch . . . Einer der hellsten Köpfe unter den Psycho analytikem 

^"' ^ (Alfred DÖblin in der Vossischen Zeitung) 

Gut ist die Analyse des Fanatismus . . . Man wird eine Methode, die so tiefe Sachverhalte 
aufdecken kann, nicht a limine ablehnen. (Prof Titius in der Theologischen Literaturzeitung) 
Das Euch ist unmittelbar erschütternd. Es versäume niemand, dem psychologischen Zusammen- 
hane zwischen Clu-istus und Judas Ischarioth unter Reiks sachkundiger Führung nachzusinnen. 
Der erste Eindruck mag leicht ähnlich erschreckend wirken, wie die Begegnung mit dem 
Hüter der SchweUe; allein auch hier wird sich der Schreck, vom Richtigen richtig erlebt, 
als heilsam erweisen. {Graf Hermann Keyserling im Weg zur Vollendung) 



W) JOLAN NEUFELD, Dostojewski. Skizzezuseiner Psydioanalysci 

Geh. M. ^■— , Halbleinen M. 4'JO, Halbleder M. f— 

Wer sich von der Betiaiiptuiig beunruliigt fühlt, daß Dostojeivsti ein Chaotiker gewesen sei, 
der alle Sympathien auf die Verbrecher gelegt habe, dem sei dieses Buch empfohlen . . . 
Diese ruhigen Untersuchtingen, die dem Dichter und Menschen rein analysierend nahezultoniiiiei» 
suchen, heben aus ihm allgemeine, typische- Züge heraus und leliren ihn menschlich verstehen; 
Dieses Verstehen aber birgt in sich zugleich das Vorheugemittel gegen die suggestive Einfluß- 
gewalt, die von den Schöpfungen des russischen Dichters ausgeht. Die kühle Luft zerlegender 
Wissenschaft nimmt den Gestalten das Bezwingende... Wir wissen' um den Mechanismus 
dieser Welt, imd sie wird uns .nicht mehr zu willenlosen, blinden Verführten machen können; 

(Deutsdie Allgtmeine Zeitung) 

Der ernste, etwas analytisch orientierte Leser wird die flüssige und beredte Dostojewsü- 
Skizze in einem Zuge durchlesen und ohne Widersprudi. (,Nme Zürcher Zeitung) 



V) HANNS SACHS, Gemeinsame Tagträume. Geh. M. 6'—^ 

Halbleinen M. •}' ^0, Halbleder M. TO'— 

Als die Psychoanalyse auf die entscheidende Bedeutung der Tagträume für den Lehenswee 
und die Liebeswahl des einzelnen hinwies, traf sie mit einer längst gangbaren Übenseug'tmff 
zusammen, daß nämlich die Tagträume die Vorstufe seien, von der aus sich in begnadetem, 
Sonderfalle der Aufstieg zuin Kunstwerk vollziehe. Sachs untersucht nun, wie sich der Tag-- 
traum zum Kimstwerk verwandelt, wobei er besonders den Fall ins Auge faßt, wenn zwei 
irgendwie Gleichgerichtete sich zusammentun, um gemeinsam einen Tagtraum auszuführen 
der dann eine Zeitlang beiden den eigenen, allein geführten Tugtraiim ersetzt. Sachs behandelt 
auch die Frage, wodurch sich der Dichter vom Neurotiker, vom Verbrecher, vom Führer der 
Masse unterscheidet. Er weist auf den Zusammenhang zwischen dem nach Entlastung lech- 
zenden Schuldbewußtsein und dem zur Verschiebung auf das Werk bereiten Narzißmus hin 
Auch die formal- ästhetischen Elemente, die der kün s tief i sehen Form, haben den Endzweck 
hinter der Fassade einer vorläufigen Lustprämie, der Vorhist, unbemerkt und straflos die 
aus dem Unbewußten stammende Lust zu genießen. Besonders analysiert er dann zwei 
-Kunstwerke, die Anzeichen einer Produkt ionshenimun g im Leben ihrer Schöpfer darstellen- 
Schillers „Geisterseher" und Shakespeares „Sturm". Die Psychoanalyse entwickelt 
sich ..nach dem Gesetz, nach dem sie angetreten"; aus der Erforschung der Störunß-en 
erwachsen, die der unvollkommenen Bewältigung unbewußter Wünsche ihr Dasein verdanken 
vermag sie sich den Problemen der künstlerischen Schöpfung auch am besten von der Seite 
der Hemmungen her zu nähern, Abgründe öffnen sich bei Shakespeare und bei Schiller, die 
das Schaffen überspannen und verdecken konnte, solange es ungehemmt dem Lichte zustrehte 



VI) GUSTAV HANS GRABER, Die Ambivalenz des Kindes. 

Geh. M. yjO, Halbleinen M. J' — , Halbleder M. 7' — 

Inhalt: Der Begriff der Ambivalenz; bei Bleuler; bei Freud. Das Wesen der Ambivalenz» 
Ambivalenzbildung. Hereditäres und Akzidentelles. Der ürhaß. Bindimgen ans Ich. Der 
Geschlechtsunterschied. Das Lustverbot. Symbolisienmg, Tierphobien. Aufhebung der 
Ambivalenz und Regression. Ausblick. 

Besonders fruchtbar. Bringt neues individuelles Material von Kindern selbst. Lesenswerter 
systematisclier Versuch. (Zeitschr. f. Sexualwissenschaft) 

Wichtige Fingerzeige zur Kindererziehimg. (Bern:r fVoche) 

Jeder, der mit Kindeni zu tun hat, wird diese Arbeit mit Gewinn lesen. 

;' (Prof. Schneider, Riga in der Schulrefomii 



VII) IMRE HERMANN, Psychoanalyse und Logik. Individuell- 
logische Uiitersudimigeii aus der psydioanalytisdieii Praxis. Geh. M. y^o, 
Halbleinen M. f — , Halbleder M. 7" — 
Hei-mann untersudit mit Hilfe der Psychoanalyse das „logische Denken", wobei er besonders 
den Denkmechanismus der Neurotiker zum Verständnis heranzieht. Z. B. erörtert er an Hand 
des Einfallmaterials einer Patientin fdie sich in der Liehe immer das Vorhandensein einer 
Konkurrentin vorstellen mußte) den „Dualschritt", dessen Auftreten er mit Beispielen aus 
der Kinderpsychologie, Ethnologie und Kulturgeschichte belegt. In Zurück führ ung der Denk- 
schritte ins Biologische wird deren Verhältnis zur Trieblehre verfolgt. Das Evidenzgefühl 
wird aus den Beziehungen der Ich-, bezw. Liebesideale verfolgt. In der psychoanalytischen 
Behandlung der individuellen Logik sieht Hermann eine der Grundlagen der Clxarakterologie. 

MIT) ALFRED WINTERSTEIN, Der Ursprung der Tragödie- 
Ein psydioanalytisdier Beitrag zur Gesdiithte des griediisdien Theaters. 

Geh. M. S^JO, Halbleinen M. p'jO, Halbleder M. I2';o 
Es wird der Versuch unternommen, einen im Gebiete des alten Thrakiens beobachteten 
Karnevalsbrauch aus einer antiken ländlichen Dionysosfeier herzuleiten, die die Keim- 
zelle des attischen Dionysos dramas gebildet haben dürfte. Anderseits wird das moderne 
Maskenspiel in die weit verbreitete Gattung der FrüMingsfeste des „Vegetationsdämons" 
eingereiht und an reichem Material deren Verwandtschaft mit den Knaben weihen der 
Wilden nachgewiesen. Auch der Anteil des Toten- und Heroenkultes an der Entstehung 
der Tragödie wird gevriirdigt und sein Niederschlag im ausgebildeten Drama des näheren fest- 
gestellt. AnschUeßend wird die Bedeutung des Wortes Tragödie — Bocksgesang erläutert. 
Die historische Entwicklung der attischen Tragödie und die Entstehung des mittelalterlichen 
Dramas aus der kirchlichen Liturgie bilden den Gegenstand der späteren, durch Betrachtungen 
über den tragischen Helden, den Chor, den Schauspieler imd den Zuschauer ergänzten Aus-, 
führungen. An einem Beispiel aus einem völlig entlegenen Kultiu-kreise — an einem Tanz- 
schauspiel der Indianer in Guatemala in vorkolum bischer Zeit — wird schließlich gezeigt, 
daß auch hier der ewige Konflikt zwischen Vater und Solm das tiefste Motiv für die Schöpfung 
des Dramas darstellt. 

IX) ERWIN KOHN, Lassalle - der Führer. Gek. M. 4--, Ganz- 

leinen M. 6' — 
Inhalt: I) Die psychologische Entstehung des Fülu-ers. — II) Die psychologische Technik 
der Führung bei L. — III) Das Liebesschicksal Ls. — IV) Die psychische Struktur des' 
Führertums bei L. Die Nachfolge Ls. und das Ende seiner Organisation. 
Aus der Fülle des Materials und der überall durchblitzenden Helle entsteht ein geistiges Bild 
des einstigen Arbeiterfülirers, das in seiner Zwingkraft beinahe schmerzt. Ausgezeiclinet das 
Kapitel über die psycliische Struktur des Führertums hei Lassalle, der aus dem seine 
Erfolge erklärenden Narzißmus heraus(vuchs und mit den Jahren immer melu: den Cäsarismus 
an sich emporkommen ließ . . . Interessant die Gegenüberstellung der ganz wesensverschie- 
denen Führer Marx und Lassalle. (Folhsrecht, Zürich) 

X) ECKART von SYDOW, Primitive Kunst und Psychoanalyse. 
Eine Studie über die sexuelle Grundlage der bildenden Künste der 
Naturvölker. (Mit Kunstbeilagen). Geh. M. 8' — , Ganzleinen M. lo' — 

Inhalt: Die Wiedererweckung der primitiven Kunst. — Die drei Wege zur Erkenntnis der 
natuivölkischen Kimst. — Die sexuelle Grimdlage der Baukunst, der Plastik, der 
zeichnerischen Künste. ^ Lust und Unlustpriuzip in ilirem Verhältnis zum natur- 
völkischen Kunstwerk. Kunst- und Wirtschaftsformen hei den Naturvölkern. — „Körper- 
kunst" und deren sexuelle Grundlage, — Die geschichtliche Reihenfolge der Künste. 

Die geistige Kunstform als selbständige Kulturmaeht. — Der Gnmd des StiUstandes der 
primitiven Kunst. 



Biologie und Scxualwissensdioft, Fliilosophie, Psydiologie und Jliographik, Ästhetik 

und Literaturforsdiung, Soziologie, Rcligionswissensdiaft und Etlmologic, Pädagogik 

und Jugendpsydiologic sind die hauptsädilldisten Stoffgebiete der 

IMAGO 

Zeitsdirift für Anwendung der Psydioanalyse auf die 
Natur- und Geisteswissensdiaften 

Herausgegeben von Sigm. Freud 

Redigiert von Sandor Rado, Hanns Sachs, A. J. Storfer 
Jährlidi (4 Hefte, 500~6oo Seifen Großquart) M. IT-, (1928 ersdicint Band XIV) 

Die letzten Jalirgflngc cnÜiIcKen unter anderem folgende Arbeiten: 



Abraham, Geschichte eines Hochstaplers 

Aleicander, Der Woioglsdic Sinn psycholo- 
gischer Vorgänge CBuddlias Versenkungsichre) 

Arndt, Über Tabu und Mystik 

Bällnt, Die mexikanische Kriegshlcroglyphe 
ail-llachlnolli 

Berger, Zur Theorie der menschlichen Feind- 
seligkeit 

Bcrnfcld, Über dne typische Form der mBiui- 
ilchen Pubertät 

Chadwick, Die Goltphantaslc bei Kindern 

Chljs, Infanliilsmus in der Malerei 

— Das Unisono In der muslkallschenKomposlUon 
Chrlstoffcl, Farbensymbolik 

Daly, HlndumythologleundKastratlonskoiTiplcx 
Deutsch, Okkulte Vorgänge während der 

Psydioanalyse 
Fromm, Der Sabbalh 
Fromm-Relchmann, Das fOdlscha Spelse- 

riiual 
Glese, Psych oanalylisthe Psydiotedinik 
Gomperz, Beobaditungen an grledilsdici] 

Philosophen 
Graber, C G. Carus 
Groddcck, SjTnbohsIcrungszwang 
Härnlk, Die lrieblia(t-afiekllvcn Momente Im 

ZellgefQhl 
Hermann, G. Th. Fechner 

— Benvenuto CcUiiils dichterische Periode 
Hermann-Czlner, Die zeichnerische Bega- 
bung bei Marie Bashklrtsell 

Hitschmunn, Ein Gespenst aus der Klndliclt 

Knut Hamsuns 
Jekels, Psychologie der KomOdlc 
.Tones, Probleme des Jugendlichen Alters 

— Psydioanalyse und Antliropologlc 

— Mutlcrrecht und sexuelle Unwissenheit der 
Wilden 

Klüglcln, Die Romane Ina Seidels 
Kolnai, Max Schelers Kritik und WOrdlgiing 
der Freudschen Libldolehre 



Kraus, Die Frauenspraclic bei primitiven Völ- 
kern 
Kühnen, Psydioanalyse und Baukunst 
Lowtzky, Bedeutung der Llbldoschicksalc fiir- 

die Bildung religiöser Ideen 
Matlnnwskl, Muitcrrechlllche Familie und 

Ödipuskomplex 
Marbach, Dlo Bczcicliiiungcn fOr Blulsrexw 

wandte 
Muller-Brau nschwclg, Beltrflge zur Meta- 

psychologle (Descxuallslerung; Verlicbthelf^ 

Hypnose und Schlaf usir.) 
Pf istcr, Die primären Gcfithic als Bedingungen 

der hüclislcn Ccisicsfunkt Ionen 

- Die mcnsdillchcn Einlgunfjsbeslrcbungen 
Pöl/I, Zur Mi;liipsyihologle des „dil^Jä vu" 
Badö, Die Wege der Naiurforschung Im Lichte 

der Psychoanalyse 

Hank, Iteafa, Zur Rolle der Frau In der Ent- 
wicklung der menschlichen tiesellschafl 

Bclk, Dogma und Zwangsidee 

ßobltsek. Der KoliUon. Beitrag zur Semal- 
symbolik 

R6hclm, Die Scdna-Sage 

- Die wilde Jagd 

- Mondmytliologie und Mondi-cliglon 
Itorschach, Zwei schweizerische Sektcnstlftcr 
Sachs, Carl Sphteler 

Schilder, Zur Naturphilosophie 
Schmidt, BrusfSQUgcn und l'lnger lutschen 
Schneider, Identifikation 

Sperber, Die seelischen Ursachen des Alterns, 
der Jugendlichkeit und der Schönheit 

Starcke, ÜbcrTanKcn, Schlugen, KQsscn usw. 

Sterba, Zur Analyse der Gotik 

Westerman-Holstljn, Die psychologische 
Entwlddung Vincent van Coghs 

Wlnlcrsfcln, Psychoanalyse des Spuks 

Wulff, Die Kokellerle !n psychoanalytischer 
Beleuchtung 



Warütialm-Eberle A. 6., Wien VII, 



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